Auf der Suche nach der verlorenen Melodie…

Ein nahezu perfektes Situationsgedächtnis, gepaart mit einem mittelprächtigen Namensgedächtnis ist schon so eine Sache. Es macht einen nicht nur unglaublich nachtragend, manchmal wird man fast wahnsinnig, wenn man sich an Inhalte aus einem Buch oder an eine Melodie von vor 20 Jahren erinnert, aber partout nicht mehr weiß, wie Autor und Titel hießen. Durch grobes Herumsuchen findet man zwar schon einiges, aber meist nicht das, was man sucht.

Immerhin konnte ich die Anzahl der Musikstücke, die ich in den 80zigern und 90zigern mal im Radio gehört habe, aber nicht mehr fand, inzwischen deutlich verringern. Am einfachsten ging es noch bei den Melodien, die irgendwann einmal in den Charts waren, denn diese findet man ja fein säuberlich auf diversen Webseiten aufgelistet. Deutlich schwieriger gestaltet es sich schon bei Melodien, die man nur einmal abends zufällig hörte, aber nur noch Wortfetzen erinnert. Es dauerte Jahre, bis ich von der Melodie mit dem Refraintextschnippsel „… as I watch the sun go down …“ auf den Originaltitel „For a friend“ von den Communards kam.

Deutlich schwieriger gestaltet es sich bei reinen Instrumentalmelodien, insbesondere im Falle eines Brassquartettes, das Ende der 80ziger eine Weile lang als Werbeuntermalung für irgendein Getränk lief (die Szene spielt in einem barock anmutenden Treppenhaus einer Villa), das ich trotz intensiver bis wahrlich ermüdender Recherche diverser zeitgenössischer Bier- Sekt- Schampus- und Pralinen-Werbespots, Sichtung diverser Jazzquartette mit Saxophon und Klarinetten sowie unzähliger Werbespot-Komponisten bis heute nicht mehr finden konnte. Ach, es klang halt ein bisschen wie Michael Nyman, ein wenig wie  Jan Garbarek und verdächtig nahe kommt ihm „Druid’s Circle“ von John Surman, dessen Ensembles ohnehin oft ähnlich instrumentiert und klanglich wie von den Kadenzfolgen wunderbar darum herumspielt, die gesuchte Melodieabfolge ärgerlicherweise aber in allen Stücken, die ich von ihm auftreiben konnte, fast wie gezielt meidet. Nach etwa 10 Jahren erfolgloser Suche werde ich da wohl nicht umhin kommen, das Stück einfach nachzukomponieren, damit meine Seele Ruhe findet.

Aber daneben gibt es noch genug andere Situationen, denen man nachgehen kann. Beispielsweise ein essayistisches Buch über Charakter und Instrumente und ihre Korrelation, das ein Vater mal in einem Elterngespräch erwähnte, als wir auf seinen Sohn und dessen neues Instrument zu sprechen kamen, dessen Titel aber inzwischen wohl selbst der Vater vergessen hat. Und dass ich den Sohn darauf neulich anschrieb, dürfte zu allerlei Verwirrung geführt haben, immerhin liegt das harmlose Gespräch acht Jahre zurück. Immerhin stieß ich bei der – wieder einmal eher erfolglosen – Eigenrecherche zum Thema musikalischer Charakterkunde auf den Autor Richard Sennett, der in seinem autobiografisch argumentierenden Werk „Respekt im Zeitalter der Ungleichheit“ auch auf das Cellospielen und charakteristische Eigenheiten zu sprechen kommt. Das mag als Ersatz für mich genügen, um festzustellen, ob es sich für mich lohnt, es mit dem Cello mal zu versuchen, was dann wohl auch mein nächstes Großprojekt wird, wenn ich dafür mal wieder Zeit habe. Darauf kann ich ja dann – nach entsprechender Übung – künftig auch alle Melodien spielen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, die ich aber sonst nirgendwo mehr finden kann…

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.