Tagesgebet

Einer der beliebtesten Texte auf anastratin.de ist das Frühlingsgebet. Es wird täglich gesucht und gelesen. Scheinbar besteht auch bei Internetnutzern das Bedürfnis nach Gebeten. Gerne würde ich mehr davon schreiben, doch das ist nicht so einfach.

Ein gutes Gebet ist nicht nur ein Gedicht, also ein inhaltlich wie sprachlich verdichteter Text, sondern ein direktes Gespräch mit Gott. Man kann das nicht einfach so mal schnell und man sollte sich auch gut überlegen, was man sagt. Immerhin ist Gott nicht irgendjemand. Außerdem sind Gebete etwas sehr persönliches. Daher kann man eigentlich nicht einfach so Gebete produzieren wie z. B. Frühlingsgedichte – und deshalb gibt es auch nur wenige.

Eines habe ich aber doch noch aufgeschrieben:

Tagesgebet

Herr unser Gott,
der Du unser Vater und unsere Mutter bist,
der Du täglich alles neu erschaffst
und fürsorglich erhältst,

Herr, bewahre uns

die Ehrfurcht vor Dir und Deinem Geheimnis,
ein verständiges Herz und Gespür dafür,
was Dein heiliger Name bedeutet,
der mehr ist als nur Wort, sondern Zuspruch,
damit wir ihn nicht entweihen.

Herr, bewahre uns

vor den Weltverbesserern,
die Deine Welt nach ihrem Antlitz gestalten wollen,
die über Leichen gehen für hehre Ziele,
und das eine, ihnen heilige,
sich selbst ein Götzenbild zu erbauen,
damit ihr eigener Name geheiligt werde.

Herr, bewahre uns

vor den Wortverdrehern,
die Dich in einen erdachten Himmel bannen,
damit niemand Deine Präsens hier erspüre,
der Du warst, bist und bleiben wirst,
im Himmel wie auf Erden,
überall.

Herr bewahre uns

vor den gut gepflasterten Straßen
kunstvollen Türmen und Käfigen,
aus guten Vorsätzen, toten Idealen,
die uns von Deinem Leben trennen,
die direkt oder auf Umwegen
tief in die Hölle führen,
die uns töten wollen,
auf dass Dein Reich nie käme
und Dein Wille nicht geschähe.

Herr bewahre uns

vor den Spaltern,
die Himmel und Erde zerteilen,
die Menschen von Menschen trennen,
die Menschen von der Welt trennen,
die Menschen von Dir
trennen wollen,
die Deine Freiheit, Deine Gnade
verhindern wollen,
um Strukturen des Unrechts zu erhalten.

Herr bewahre uns,

was wir täglich zum Leben benötigen,
Brot für uns und gutes Wasser,
und die Freude und Kraft,
auch in geringen Gesten
Deine Kinder zu sein,
und die Liebe für unsere Geschwister,
damit wir mit denen,
die zu wenig haben, teilen,
und ihnen das ihre zukommen lassen.

Herr bewahre uns

ein Gewissen, die Schuld zu erkennen,
die wir täglich auf uns laden,
nicht damit wir bekümmert sind,
sondern damit wir geduldig werden,
mit den kleinen Fehlern unserer Mitmenschen
und ihnen auch vergeben können,
wie Du uns gelehrt hast.

Herr bewahre uns

vor der Schwäche,
wenn wir den Versuchungen des Lebens begegnen,
und lass unser Herz wachsam bleiben,
damit wir ausharren können,
bis Du kommst und uns auslöst
aus unserer Schwachheit,
wenn Deine Gnade kräftig wird.

Denn es ist Dein Reich der Gnade, das wir erwarten,
Deine Kraft und Hilfe, die wir benötigen,
Du, bergende Liebe, wahre Herrlichkeit,
jetzt und alle Tage
und auch in den Nächten,

und wie Du es willst,
Du Gott der Lebendigen,
ohne alle Schranken der Zeit.

AMEN.

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Über Martin Dühning 1429 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.