Anruf Gottes im November

Novemberstimmung im Klettgau - dazu passt das Album "Luys I Luso" (Foto: Martin Dühning)
Novemberstimmung im Klettgau - dazu passt das Album "Luys I Luso" (Foto: Martin Dühning)

Gibt es liturgischen Jazz? Es ist einen Versuch Wert, dachte sich wohl der armenische Jazzpianist Tigran Hamasyan und kombinierte altarmenische Kirchengesänge mit Akkorden und Verzierungen aus dem 21. Jahrhundert. Sein Album „Luys I Luso“ vereint Tradition, Folklore und Moderne auf eine geradezu geniale Art und Weise.

Der 1987 geborene Jazzpianist Tigran Hamasyan ist zumindest in Frankreich und Kanada kein Unbekannter mehr, seit er im Jahr 2000 in Jerewan erstmals international in Erscheinung trat, wo er mit französischen Jazzgrößen Kontakte knüpfte, Auftakt zu vielen internationalen Konzerten. Sein Album „Luys I Luso“ von 2015 ist zwar nicht sein jüngstes Werk, aber setzt doch besondere Akzente: Hamasyan arbeitete für seine Umarbeitung traditionsreicher armenischer Kirchenmusik mit dem Staatskammerchor von Jerewan zusammen; der religiösen Tiefe der Kirchengesänge verleiht sein Pianospiel eine bitterzarte, mal verspielte, mal sehr melancholische Note. Tigran Hamasyan gelingt es, beide Klangwelten so zu einem stimmigen Ganzen zu verdichten, dass man die 1500 Jahre, die teilweise dazwischenliegen, kaum mehr ahnt. Alles vereint sich zu einem filigranen Tongewebe. So kann Meditation im 21. Jahrhundert klingen.

Gleichwohl deckt das farbliche Klangspektrum dieses Albums vor allem dunklere Farbtöne ab, und das betont auch das CD-Cover, welches eine vernebelte Kirche darstellt. In „Luys I Luso“ verdichten sich Kirchentonarten, die teils asymmetrischen Takte und die Pionaklänge zu einem mystisch-musikalischen Stimmung, die man vielleicht treffend mit „Novembergebet“ bezeichnen könnte – man stellt sich den Komponisten dann nicht nur in einer nächtlichen armenischen Kirche, sondern vielleicht auch melancholisch im grau-verregneten New York vor, wo Tigran Hamasyan zwischenzeitlich seine Produktionsstätte eingerichtet hatte. Und trotz allem – die Musik durchbricht das traurige Dunkel wie Lichtstrahlen den Nebel, daher wohl auch der Titel des Albums: „Luys I Luso“ – „Licht aus Licht“.

Mehr über das Album „Luys I Luso“ und auch Tonbeispiele kann man auf der passenden Webseite finden.

Über Martin Dühning 1427 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.