Haltet die Tafel in Ehren!

„Das SmartBoard hat fast überall die klassische Tafel abgelöst“ – steht in der aktuellen Ausgabe der Computerzeitschrift c’t. Als ich diesen Satz las, kam es mir als Pädagoge gleich wieder hoch.

Denn es stimmt schlichtweg nicht. Aus Schulen ist die klassische Kreidetafel, die in jedem Klassenzimmer steht, nicht wegzudenken – und das wird wohl auch noch lange so bleiben, nicht nur, weil alles andere unerschwinglich wäre.

Es gibt in jedem Beruf eine sogenannte „Déformation professionnelle“ , einen hässlichen Tick, den man sich aus Gründen der beruflichen Routine einfängt. Bei Technikjournalisten scheint der darin zu bestehen, dass sie glauben, durch das permanente Ersetzen von mechanischen Techniken ließe sich menschliche Pädagogik verbessern oder gar – in einer noch verkürzteren Weise: ersetzen.

Beliebte Ziele der propagierten „Kulturrevolution“ sind das papierne Buch und die Kreidetafel. Das Erschreckende daran ist, dass dieser Irrglaube, der auf einer fundamentalen Verwechslung von Didaktik und Pädadogik einerseits und Technologie und Kulturtechniken anderseits beruht, eine große Schar von Gläubigen um sich versammelt, mitunter auch Schulleiter. Die Folgen sind dann zuerst einmal finanzieller Natur, denn Computertechnologie ist vieles, aber vor allem ist sie teuer und reparaturanfällig. Und selten wird sie in Schulen dann auch zweckgemäß genutzt. Nachhaltig ist sie sowieso nicht. Kein Smart- oder Whiteboard erreicht die 40jährige Laufzeit einer klassischen Kreidetafel, die gerade darum „klassisch“ heißt, weil sie zeitlos ist. Und bei all den theoretisch möglichen Kniffen, die eine elektronische Projektionsfläche in ihrer kurzen Lebensspanne womöglich bietet, erreicht sie doch nie die intuitive Bedienbarkeit eines einfachen Stückes Kreide, mit der ein fantasievoller Mensch, ob Erwachsener oder Kind, in kürzester Zeit Erstaunliches vollbringen kann. Und das ganz ohne stundenlange Einführung in die Bedienung. Ganz im Gegensatz zur IT-Gerätschaft ist die Kreidetafel im täglichen Gebrauch auch fast unkaputtbar, selbst bei gravierenden Fehlbedienungen, wie sie durch in den Pausen durchs Klassenzimmer tobende Pennäler tagtäglich geschehen.

In meinen acht Jahren als hauptverantwortlicher Systembetreuer an einer Schule mit 1200 Schülern und gut 90 Lehrkräften habe ich die Erfahrung machen müssen, dass die IT-Technik zwar viel Zeit, Geld und Mühe kostet, es aber letztendlich doch nicht wert ist, wenn man den Menschen selbst als Menschen dabei nicht im Blick behält – und gerade der wird von den hochsensiblen Technikgötzen doch oft bloß zum dümmstmöglichen User abgestempelt. Trotzdem ist der irrige Glaube nicht auszurotten, man könne mit Technik konzeptuelle Mängel im Bildungsplan, fehlende Bildungszeit und  Fachpersonalmangel ausgleichen.

Jede Technik ist nur soviel Wert, wie Fantasie und Intellekt des Benutzers hergeben, das gilt umso mehr, wenn sie komplex ist. Das bloße Benutzen eines Geräts bedeutet noch nicht seine Beherrschung, wie gerade im IT-Bereich an Schulen oft irrtümlich angenommen. Und selbst erlangte intellektuelle Künste ihrerseits haben überhaupt nichts mit Vernunftvermögen und Teamfähigkeit zu tun, was ein  jeder Technik-Nerd beweist.

Der einzige Vorteil, den IT-Technologie außerhalb Informatikunterrichts in Schulen wirklich bietet, bei all den vielen Nachteilen, liegt meiner Erfahrung nach ganz woanders:

Da eine sich permanent rasant wandelnde IT-Struktur Erwachsene wie Jugendliche genauso (über-)fordert, erzwingt sie eine neue Gemeinschaft zwischen Lehrern und Schülern und ein gemeinschaftliches Lernen, wie es in der alten Kathederschule nie denkbar gewesen wäre. Das gilt aber nur für „normalsterbliche User“, nicht für die wenigen IT-Halbgötter unter Lehrern und Schülern, die es an jeder Schule auch gibt. Und meist haben die Halbgötter in der IT-Abteilung auch das Sagen und denken sich die raffinierten Verwendungszwecke aus, die eher aus der Not heraus „gemeinschaftlich“ eingeübt werden und nur so lange bleiben, wie sich nicht wieder eine Bedienerelite unter den Lehrern herauskristallisiert. Dann verblasst das ganze recht schnell wieder zur öden Routine, und selbst das größte Multimediafeuerwerk verpufft.

Auch das spielerische Element, das die IT ermöglicht, leitet sich eher aus dem Umstand heraus ab, dass man den vielseitig schlecht geschriebenen Handbüchern zu Soft- und Hardware eh nicht trauen kann, weshalb man schneller und besser auf spielerische Weise zum Ziel kommt.

Meiner Meinung nach lässt sich das durchaus erstrebenswerte gemeinschaftliche und spielerische Lernen aber genauso gut, nein sogar viel schneller, billiger und nachhaltiger mit Stift und Papier bzw. einer klassischen Kreidetafel in einem völlig technikfreien Klassenzimmer bewerkstelligen, denn es ist letztlich lediglich eine Frage des Berufsethos, der inneren Haltung von Lehrkraft und Schülern, nicht eine der technischen Ausstattung. Und wenn es mit dem Ethos bei Lehrern und Schülern nicht weit her ist, weil die einen von den anderen nicht viel halten und nur in vorgefassten Denkmustern verharren, dann hilft auch alle Technik nichts.

Die klassische Kreidetafel ist ungeschlagen nachhaltig und intuitiv und ermöglicht ohne jeden Zeit- und Finanzvorlauf gemeinschaftliches und spielerisches Lernen, wenn darauf gemeinsam Ergebnisse erarbeitet werden. Und das klappte schon vor über 20 Jahren wunderbar in meiner eigenen Schulzeit. Es hängt lediglich von der Lehrkraft ab, ob sie es zulässt und von den Schülern, ob sie sich darauf einlassen. Sie zu ersetzen, um die Pädagogik zu verbessern, ist Unsinn, Sinn allein macht eine Ergänzung des Bewährten durch wirklich sinnvoll Neues. Das ist bei der Kreidetafel noch lange nicht der Fall, vielleicht schon viel eher beim Ebook, wenn es aus gesundheitlichen Gründen die Schulbücherflut ersetzt, die so manchen Kinderrücken ruiniert – und besonders einer jüngeren Neuerung gestehe ich auch pädagogisch und didaktisch Potential im Klassenzimmer zu – und das ist der 3D-Drucker, mit dem sich manch theoretische Modelle haptisch veranschaulichen ließen.

Allerdings macht auch der 3D-Drucker erst dann Sinn, wenn er alltags- und massentauglich geworden ist. Sich für teures Geld nicht alltagstaugliche Technikkuriositäten ins Klassenzimmer zu stellen ist nämlich nichts weiter als eine sündhafte Verschwendung von Steuergeldern. Gerade bei IT-Technik in Schulen kommt es darauf an, nicht kopflos als Erster loszuhechten, sondern wohlüberlegt zum richtigen Zeitpunkt, denn Schule hat kein irres Wettrennen zu sein, sondern eine soziale und kulturelle Dienstleistung an den Menschen.

Über Martin Dühning 1518 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.