Die Wartenden

Parkbank (Foto: Tom Swinnen via Pexels)
Parkbank (Foto: Tom Swinnen via Pexels)

Oft saßen Kara und Luisa nun auf ihrer Bank und warteten. Warteten, hielten inne, genossen teils die Stille, nährten sich von der Hoffnung – und mit jedem Atemzug im Sonnenschein sogen sie eine tiefe Zuversicht ein, daraufhin, dass die Dinge eine gute Wendung nehmen würden.

„Ach, wir sind alt geworden“, sagte Kara zu Luisa, welche aber darauf bestand, dass dem nicht so sei. „Doch, Luisa, genau so ist es bei allen alten Leuten: Sie sitzen auf ihren Bänklein und warten, dass das Gute irgendwann zu ihnen kommt. Früher wären wir in die Welt hinausgezogen, heute warten wir nur noch.“

„Nein, Kara“, entgegnete Luisa, „wir sind einfach weiser als früher und haben gemerkt, dass man dem Glück einfach nicht hinterherrennen muss. Wer dem Glück hinterherrennt, der verpasst es oder holt es nie ein. Wer aber wartet, den richtigen Zeitpunkt abpasst, der erwischt die glücklichen Momente“, erwiderte Luisa altersklug: „Wir sind nicht alt, wir sind weiser als früher“. Außerdem mochte es Luisa einfach nicht, dass man sie als alt bezeichnete. Sie war nicht alt. Alter war nämlich einfach eine Sache der Relation.

Tatsächlich allerdings musste Luisa heimlich doch zugeben, dass ihr das Warten und gemütliche Sitzen inzwischen deutlich mehr Spaß machten als das wilde Herumwuseln, was sie in ihrer Jugend so geliebt hatte. Sie hatte aber zu lange gebraucht, bis sie die innere Gemütsruhe erlangt hatte, auf die sie heute so stolz war und auch deshalb betrachtete sie ihren Zustand nicht als Verlust, sondern als großen Gewinn.

Tatsächlich warteten Luisa und Kara nun am Spätnachmittag sehr gerne und betrachteten die Welt von ihrem Bänklein aus. Beispielsweise warteten sie, ob ein später Postbote ihnen mal nette Briefe brachte, und nicht wieder nur Rechnungen. Um ihrem Glück nachzuhelfen, bestellten sie auch oft Pakete, was aber leider den negativen Nebeneffekt hatte, dass das auch die Anzahl der Rechnungen erhöhte, die eben keine lieben Briefe waren. „Aber irgendwas ist ja immer“, meinte Luisa, wenn Kara sie darauf hinwies. Und es war immer sehr schön, wenn die Pakete kamen, auch wenn sie wussten, was drin war und nur überrascht taten.

Aber auch sonst war es schön, einfach so zusammen auf dem Bänklein zu sitzen: Man konnte anderen Leuten beim Arbeiten zusehen und fühlte sich dabei auch selbst irgendwie sehr tätig und wichtig. Man sah, hörte, fühlte, roch den Augenblick: Jetzt war Spätsommer, und der Spätsommer war eine besonders geeignete Zeit, auf seinem Bänklein zu sitzen und den noch grünen Bäumen beim Rauschen zuzuschauen, oder den Siebenschläfern und Haselmäusen, wie sie auf den Obstbäumen herumtollten und die Äpfel herunterholten, die auch aus der Ferne so süß dufteten. Andächtig klangen die Kirchenglocken, wenn der Tag sich neigte. Gegen Abend betrachteten sie manchmal auch die zirpenden Fledermäuse kurz nach Sonnenuntergang, bevor der kühle Nachtwind auf den nahenden Herbst hinwies und man wieder nach drinnen gehen musste, um sich nicht zu erkälten. Aber generell war September eine gute Zeit für Gartenbänke.

Ach, das war eine Zeit, die sie vermissen würde, dachte auch Kara, denn irgendwann in ein paar Wochen würde es die Sonne morgens nicht mehr durch den Nebel schaffen, der Himmel würde merklich schwinden und eine ungemütliche Kühle würde die Gartenbank einsam machen, während Luisa und Kara sich dann hinter schnöde Fenster zurückziehen müssten, die leider nicht die ganze Freiheit böten.

„Gerade drum“, sagte Luisa zu Kara „müssen wir hier und jetzt auf unserer Bank verweilen. Man muss die Früchte pflücken, die einem entgegenwachsen und den Tag nutzen, wie er sich bietet. Das ist nicht die Zeit für hektisches Herumgetolle, denn eilen kann man auch, wenn das Wetter wieder mies und schlecht wird“ – wie die Laune, die hinter regennebelgrauen Wände dahinmodert wie das Laub im November.

Über Martin Dühning 1618 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

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