Jedem Anfang wohnt ein Zauber …

Aus dem Leben einer Botschafterin, Teil 2

Monte Regina VIII
Monte Regina VIII

Da stand Luisa nun, aufgeregt, am Fenster des salomenischen Kreuzers der Elk-Klasse und betrachtete die überdimensionale goldene Murmel, die aus dem Dunkel des Alls immer näher kam. Das wäre Nitramien, sagte die Kapitänin.

Die Ausbildung zur Diplomatin hatte Luisa Amiratu erstaunlich schnell absolviert. Genau genommen wussten auch ihre Ausbilder nicht sehr viel über Diplomatie gegenüber fremden Kulturen, aber die Order der provisorischen Regierung von Emolas hatte gelautet: Optimistisch sein! Die Zukunft ermöglichen! Einen guten Eindruck machen! Freundschaft schließen! Das alles, befanden die Gutachter, könne die kleine grüne Zwergfee am Besten, weshalb man ihr, trotz geringer Größe, gegenüber ihren Mitbewerbern schließlich den Vorzug gab.

Außer Luisa hatten sich damals noch vier andere Bewerber um den Posten als Diplomatin beworben. Die erste, eine noble ältere Dame mit Faible für englische Dark Novels, hatte zwar beste Fremdsprachenkenntnisse und kannte alle Anstandsregeln auswendig, schließlich hatte sie lange Zeit am kaiserlichen Hofe von Elenor gedient, aber sie hatte ganz offenbar Vorurteile gegenüber „auffälligen“ Fremden, was sie für das Amt aus Sicht der emolanischen Ausbilder disqualifizierte. Der zweite war ein alter, wettergegerbter Matugener, wahrlich bewandert in fast allen Legenden der alten Völker – doch aus Sicht der Ausbilder war er vielleicht nicht freundlich genug und zu alt – er strahlte keine Zukunftshoffnung aus. Man wollte sich ja gegenüber den neuen Verbündeten als vorwärtsgewandt präsentieren. Der dritte Bewerber war ein gesangsbegabter Coyote mit indianischer Vorgeschichte. Man hätte ihn fast gewählt, stellte aber fest, dass er zu plötzlichen Heulattacken neigte, die selbst die große Mondgöttin vergrault hätten. Das war zu riskant! Und der vierte Bewerber war ein junges Elchwesen, nicht größer als Luisa, das wirklich freundlich, aber leider auch sehr nervös und etwas verplant war.

Daher entschied man sich für die Zwergfee Luisa und drückte bei ihrer fehlenden Vorqualifikation ein Auge zu – jedenfalls konnte sie keine Empfehlungen oder besondere Fähigkeiten vorweisen und sich auch irgendwie nicht an ihre Vergangenheit erinnern. Aber Luisa war klein, knuddelig, verstrahlte ein optimistisches Grinsen und war offenbar auch eine recht gute Selbstdarstellerin, was in Emolas damals nicht so häufig vorkam. Außerdem schien sie aufrichtig interessiert daran, neue Kontakte zu knüpfen und selbst eine bessere Zukunft zu leben. Das passte, fanden die Ausbilder, zur Parole der Stunde.

Die Zeit drängte, hieß es. So erhielt Luisa in nur zwei Wochen eine sehr geraffte Kurzausbildung, wobei man gezwungenermaßen einige wichtige Aspekte vernachlässigen musste. Jedenfalls schärfte man ihr aber immer wieder ein, dass sie für das Glück zweier Nationen verantwortlich sei – ansonsten allerdings recht frei in der Wahl ihrer Mittel: Sie solle den Optimismus der neuen Friedenszeit verkörpern, einen guten Eindruck von Emolas vermitteln, sich als bester Freund zeigen und viele Freundschaften schließen. Irgendwie. Wie, das sei ihr überlassen, man wisse es auch nicht, sie solle einfach improvisieren.

Mit diesen guten Ratschlägen im Gepäck (ansonsten besaß sie damals nichts) setzte man Luisa auf dem fremden Planeten, in einer Kuppelwelt ab, spät sonntagabends auf einer Landeplattform. Luisa stand dort eine Weile herum, doch überraschenderweise geschah nichts. Der emolanische Frachter wurde entladen, sonst war weit und breit kein Schiff zu sehen und daher auch nichts los. Die Kapitänin sprach ihr Mut zu und verabschiedete sich, dann flog das Schiff wieder ab. Da stand sie nun allein auf weiter Flur. Niemand kam. Man übersah sie offenbar schlicht. Also schlenderte Luisa vorsichtig los, stellte überrascht fest, dass die Landeplattform in der Nähe eines großen Wassers lag, an dessen Ufer sie ziemlich lange mutterseelenallein entlangflatterte.

Auf einer Insel in dem sehr großen See, oder einem kleinen Meer, sah Luisa irgendwann etwas weiß im Sternenlicht aufblitzen, sodass sie, obwohl ihre Flügel müde waren, darauf zuflatterte. Die Insel war nicht eben groß, ein paar hundert Quadratmeter, nur mit saftigem Gras und ein paar Büschen bewachsen und oben auf der Hügelspitze stand unter dem Sternenhimmel ein strahlend weißes, offenbar nigelnagelneues Häuschen, eine winzige Villa, vielleicht eine Art überdimensioniertes Vogelhäuschen, aber letztlich genau das, was sich jede Zwergfee als Traumhaus wünscht. Instinktiv beschloss Luisa, dass das jetzt ihr Haus war, und weil die Türe kein Schloss hatte, konnte sie es auch ohne Probleme in Besitz nehmen. Möbel gab es drinnen nicht, die Vogelvilla stand leer, aber Luisa war so müde von dem anstrengenden Raumflug, vom Klimawechsel und vom langen Herumfliegen, dass sie irgendwann völlig übermüdet einschlief, in eine Ecke neben einem Fenster gekauert, von fremden Sternen beschienen.

Die Villa Mondia bei Nacht (Grafik: Martin Dühning)
Die Villa Mondia bei Nacht (Grafik: Martin Dühning)

Zum Glück für Luisa war es in ihrem neuen Zuhause gerade Sommer. Bereits ein Jahr lang. Der Planet Monte Regina VIII brauchte für eine Umrundung seines Zentralsterns etwa 12 Erdenjahre, entsprechend lange dauerten die Vegetationsperioden, vier Jahre war es Winter, zwei Jahre Frühling, vier Sommer und zwei Herbst. Der Winter in Ninda war bitterkalt und finster, Frühling und Herbst oft monatelang verregnet. Doch nun war es Sommerzeit und die Nächte lau, aber auch erfrischend. Als Luisa aufwachte, brach ein herrlicher Tag an. Sie Sonne schien, das Wasser glitzerte, saftiges Gras wiegte ein sanfter, lieber Wind. Luisa hüpfte auf die Veranda und bestaunte die schöne Aussicht. Funkelnde Wasser, kaum von Wellen durchzogen, in der Ferne auf der einen Seite, jenseits des Wassers, eine beblümte Bergkette. Auf der anderen Seite, am Horizont zogen elfenbeinfarbene Wölkchen und ab und zu ein Segelschiffchen vorbei. Der Himmel war klar und das Inselgras saftig, durchzogen von hübschen kleinen weißen Blümchen. Ja, es war ein herrlicher Tag.

Erst durch den großen Schatten bemerkte Luisa, dass sie offenbar gar nicht ganz allein hier war. Vor ihr, das blaue Seidengewand hob sich vom Meer und vom Himmel kaum ab, stand eine menschenähnliche Gestalt, aus Luisas Sicht ein Riese. Der offenbar recht junge Mann strahlte mit seinen meergrünen Augen große Freundlichkeit aus, lächelte und beugte sich zu Luisa und ihrem Vogelhäuschen herunter. Dabei kräuselten sich seine flachsblonden Locken und darunter kamen seltsam anmutende Ohren zum Vorschein. War das ein riesiger Kobold oder ein Elf? Luisa hatte so ein Wesen noch nie gesehen. Das musste einer von diesen Nitramiern sein, von denen ihre Ausbilder gesprochen hatten.

„Einen wunderschönen Mittag wünsche ich Euch, Frau Botschafterin.“, sprach der Mann sanft, dabei schüttelte er mit zwei Fingern vorsichtig Luisas rechtes Ärmchen.

Luisa lächelte betont freundschaftlich.

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Jitro Messalinas, ich bin der kaiserliche Legat des Ostens und beauftragt, Sie hier herzlich willkommen zu heißen. Wir waren etwas überrascht, da man uns Ihre Ankunft nicht mitgeteilt hat. Ich sehe, Sie haben an dieser kleinen Behausung inzwischen Gefallen gefunden, wir würden Sie Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthalts gerne zur Verfügung stellen, falls Sie möchten. Wenn Sie weitere Wünsche haben, geben Sie einfach Bescheid. Dies ist die Insel und Villa Mondia, welche momentan leer steht und von der Stadt Ventadorn verwaltet wird, sie befindet sich jenseits des Sees, dort in diese Richtung“, und er zeigt mit seiner Hand in die Ferne, dann wandte er sich auf die andere Seite: „Das Land jenseits der Wasser nennt man Südninda, es ist eine der kaiserlichen Provinzen. Sie dürfen sich natürlich frei bewegen, wie Sie möchten, Sie sind uns überall willkommen.“

„Das ist sehr nett, danke“ – antwortete Luisa und überlegte sich, wie sie nicht nur Freundschaft, sondern auch Optimismus ausstrahlen könnte, was ihr angesichts ihres leeren Magens etwas schwer fiel.

„Ah, natürlich habe ich auch noch ein Begrüßungsgeschenk dabei“, räusperte sich der Mann im blauen Seidenkleid und zückte eine kleine Pralinenschachtel. „Wir hoffen, Sie finden an diesen Konfiserien Gefallen. In Rücksicht auf salomenische Vorlieben haben wir auf jegliche weiße Schokolade verzichtet.“

Luisa, die in Sachen Süßigkeiten nicht sehr wählerisch war, Hauptsache, die Süßigkeiten verdienten ihren Namen, war sofort hellauf optimistisch und begeistert und schloss den netten blauen Mann mit dem komischen Ohren mehr als freundschaftlich in ihr Herz. Diese wundervollen Süßigkeiten würden sicher für eine Woche reichen, wenn sie sie gut rationierte.

„Oh, es gibt keinen Grund, Lebensmittel zu horten“, gab Jitro Messalinas erstaunt zurück, der ihre Gedanken wohl irgendwie zu erraten schien. „Was immer Sie wünschen, sofern es mit unseren ethischen Grundsätzen vertretbar ist, lassen wir es Ihnen sofort gerne zukommen.“

Und so war es auch. Zur großen Überraschung von Luisa erfüllte man ihr seit diesem Tag fast jeden Wunsch. Schon eine Woche später war ihre Wohnung mit wundervollen Miniaturmöbeln ausgestattet, ihre Speisekammer gefüllt mit Süßkram aller Art und auch ihre Kleiderschränke gefüllt mit vielen neuen grünen Kleidchen und bunten Hütchen. Nur auf Likör und andere Spirituosen musste sie verzichten, das mochten die Leute hier überhaupt nicht, wie sie schnell feststellte. Und in Sachen Fortbewegungsmittel waren die Leute für ihren Geschmack etwas arg traditionell und wenig zukunftsgewandt. Zwar bekam Luisa auf ihren Wunsch hin mehrere hübsche Autos, aber die Straßen in den Provinzen waren nur für Pferdefuhrwerke ausgelegt und offenbar betrachteten die Einwohner Kraftfahrzeuge eher argwöhnisch. Sie durfte immer nur eines gleichzeitig besitzen.

Aber ansonsten behandelte man sie äußerst freundlich und offen, sodass sich Luisa schnell eingewöhnte. Ihre Devise, Optimismus zu verbreiten und Freundschaft zu schließen, wurde für sie zum Programm, sodass sie lange Zeit lang wirklich in Glück und Freude lebte und vor lauter neuen Kontakten ganz vergaß, dass sie ja auch eine traurige Seite in sich hatte. Nur manchmal, nachts, wenn sie den Sternenhimmel betrachtete, fühlte sie sich wieder leer und allein, aber dann lernte sie eines Tages Kara kennen.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.