Viele meiner älteren Schülerinnen und Schüler möchten im Unterricht gerne ein Tablet benutzen, aber nicht jede Software taugt wirklich für den schulischen Alltag.
Ein paar kritische Worte zum Thema „Digitalisierung“ als pädagogische Wunderwaffe
„Digitalisierung“ ist ein beliebtes Zauberwort, wenn es darum geht, alle möglichen Probleme in Deutschland zu lösen. Aber wie immer bei Zauberei, weiß niemand so wirklich wie das dann ganz funktionieren soll jenseits der magischen Versprechen diverser Hersteller. Besonders begabt, was digitale Magie angeht, ist sicher Apple mit seinem berühmten iPad, aber sehr viele setzen auch die teilweise technisch sehr gut ausgestatteten Android-Tablets ein.
Was den konkreten Nutzen angeht, bleibe ich als Deutschlehrer skeptisch. Wirklich besser schreiben lernt man mit Tablets nicht; wenn sie wirklich gut funktionieren – und eine entsprechende Beschichtung des Displays vorausgesetzt, die keinesfalls Standard ist – simulieren Tablets recht gut analoge Schreibmaterialien. Ein Mehrwert besteht allerdings erst, wenn man sich nicht darauf beschränkt, Analoges nachzuahmen, sondern tatsächlich multimediale Möglichkeiten nutzt. Deshalb muss ein vernünftiges Schreibprogramm auch mehr bieten als nur eine Papiersimulation.
Ein großer Vorteil eines Heftes aus Papier ist die quasi automatische lineare Struktur (Seite für Seite), die ein Heft vorgibt. Diese ist weder die einzig mögliche Art, noch die beste, ein digitales Notizprogramm sollte eine Strukturierungshilfe bieten. Letztlich ist es auch wichtig, dass ein gutes digitales Notizbuch verlässlich auch offline nutzbar ist und sich – z. B. für die Lehrkraft oder Mitschüler – exportieren lässt, vorzugsweise in einem Austauschformat wie PDF. Ideal natürlich wäre, wenn das Programm analoge und digitale Inhalte kombinieren kann, beispielsweise durch eine Einlesefunktion und eine automatische Texterkennung.
Das wäre sehr schön, allerdings habe ich noch kein Programm gefunden, dass alle diese Anforderungen wirklich ganz erfüllt. Teilweise ist das von den Herstellern wohl auch nicht gewollt, weil ein Cloud-Zwang natürlich eine ideale Methode ist, um Nutzer in ein ABO zu zwingen. Allerdings funktioniert die App dann nur noch mit Internet-Anbindung. Es ist blauäugig zu glauben, dass eine Internet-Flat im Klassenzimmer pädagogisch sinnvoll ist. Zu groß ist die Verführung, in Social Media abzudriften.
Das führt dazu, dass man Tablets und digitale Medien nicht grundsätzlich für den Schulunterricht empfehlen kann, jedenfalls noch nicht. Meine Beobachtung ist, dass gerade bei Tablets der „Matthäus-Effekt1Der Matthäus-Effekt ist eine von Harriet Zuckerman entwickelte These der Soziologie über Erfolge. Wo dieser Effekt auftritt, entstehen aktuelle Erfolge mehr durch frühere Erfolge und weniger durch gegenwärtige Leistungen. Ein Grund liegt in den stärkeren Aufmerksamkeiten, die Erfolge erzeugen. – zitiert nach Wikipedia“ gilt: Gute Schüler werden dadurch besser, schlechte noch schlechter. Denn digitale Geräte bringen erhöhte Anforderungen an die Benutzung mit – es ist viel schwieriger, eine Notizbuch-App sinnvoll(!) zu benutzen als ein einfaches Heft. Auch in der Oberstufe habe ich oft erlebt, dass Schüler dann an technischen Problemen gescheitert sind, vor allem bei Langzeitnutzung: Die Informationen wurden nicht sinnvoll strukturiert – waren daher später kaum noch auffindbar, die Datenmengen wurden zu groß und ließen sich dann teils plötzlich nicht mehr laden oder exportieren.
Es ist klar, dass es nicht unbedingt die Abiturergebnisse verbessert, wenn man kurz vor der Abiturprüfung feststellt, dass man an seine Mitschriebe irgendwie nicht mehr richtig herankommt.
Ein nicht zu unterschätzendes Handycap ist auch, dass Tablets nicht wirklich Rücksicht auf die Schreibhaltung von Linkshändern nehmen. Die Folge ist, dass man als Linkshänder ständig versehentlich auf die Menüknöpfe kommt beim Schreiben. Kaum eines der Programme kann man in dieser Hinsicht vernünftig umstellen. Wenn Barrierefreiheit schon bei so stupiden Kleinigkeiten scheitert, behindert Digitalisierung die schulische Inklusion eher, als dass sie da eine Hilfe ist.
Bei technischen Problemen oder Schwierigkeiten bei der Anwendung ist dann aber jeder „selber schuld“ und erntet dann Spott oder bloß Mitleid, weil er ja angeblich bloß die Technik nicht blickt.
Sehr viele Schülerinnen und Schüler der K2 haben daher wieder für ihre Notizen von digital auf analog umgestellt, weil es eben einfacher ist und besser funktioniert und auch weniger vom Inhalt ablenkt. Soviel zum Thema „Digitalisierung im Praxiseinsatz“.
Notizbuchprogramme für Android
Nichtsdestotrotz werden Tablets von Schülerseite wie auch Lehrkräften gerne genutzt und daher hat sich auch ein recht breites Angebot von Apps entwickelt, welche sich als digitales Notizbuch präsentieren.
Goodnotes
Ein vor allem bei iPad-Benutzern sehr beliebtes Notizprogramm ist Goodnotes 6. Unter iOS ist es tatsächlich eine recht brauchbare Anwendung, vielleicht eine der besten auf dem iPad neben der Apple Software Pages und Notes. Man kann mit GoodNotes – einen Eingabestift vorausgesetzt – sehr intuitiv Notizen anfertigen, es verfügt über eine Handschrifterkennung und eine passable Erkennung auch mathematischer Formeln. Analoge Blätter lassen sich abfotografieren und als Bilder einbinden, die dann weiterverarbeitet werden können. Auch Annotationsfunktionen für PDF-Dateien sind vorhanden. Zudem gibt es viele (teils kostenpflichtige) Zusatzinhalte und Massen von Tutorials im Internet und Youtube. Auf iPads, die mit dem Apple Schulmanager verwaltet werden, ist es meist vorinstalliert – und dann entfallen auch die ABO-Kosten. Privatanwender werden allerdings zur Kasse gebeten.
Goodnotes gibt es auch für Android – auf meinem neuen Samsung Galaxy S9+ ist es ebenso vorinstalliert und bei diesem Tablet war ein kostenloses Jahr Goodnotes-ABO sogar inbegriffen. Allerdings weiß ich nicht, was sich Samsung dabei gedacht hat: Denn die Androidversion von Goodnotes ist – zumindest mit dem Stand von August 2024 – nur ein fader Schatten der iOS-Version: Es fehlen alle KI-Funktionen, somit auch die Handschrift- und Formelerkennung – und da das Programm webbasiert ist (im Unterschied zur nativen iOS-Version), wird für die meisten Funktionen eine beständige Internetverbindung vorausgesetzt. Auch ist es mit der Android-Version nicht möglich, Texte per OCR-Erkennung einzubinden. Faktisch ist die Android-Version so nichts mehr als eine hämisch wirkende Spielerei, die Android-Benutzer höchstens dazu verleitet, auf ein Apple iPad umzusteigen, wo all die fehlenden Funktionen vorhanden sind. Unwissende Android-Benutzer werden so um das Gefühl nicht herumkommen, dass sie mit einem Apple-Gerät besser bedient gewesen wären. Ob das im Sinne von Samsung ist?
Dass gutes digitales Notieren unter Android nicht geht, ist ein völlig falscher Eindruck: Denn es gibt unter Android deutlich bessere Notizbuch-Apps, sodass Goodnotes seine miserable Wertung von bloß 1,8 (von fünf möglichen Sternen) bei Google Play leider verdient hat.
Nebo
Sucht man eine gute Notizbuch-App, die auf Android, aber auch anderen Systemen solide funktioniert, wird man beispielsweise mit Nebo fündig. Nebo ist kein Neuling in der Branche, ich habe es bereits viele Jahre auf meinem Surface Pro 6 benutzt, aber auch die Android-Version von Nebo macht eine gute Figur: Die App bietet eigentlich alles das, was bei Goodnotes für Android aktuell noch fehlt: Eine wirklich sehr, sehr gute Handschrifterkennung, auch für mathematische Formeln, eine sehr intuitive Gestensteuerung, wozu es für Einsteiger auch ein sehr niederschwellig gehaltenes Tutorial gibt, wenn man das Programm neu installiert – und es ist plattformübergreifend verfügbar. Etwas schade ist, dass es kaum Vorlagen gibt.
Ansonsten ähneln sich Goodnotes und Nebo vom Konzept her sehr: Auch für Nebo gibt es im Netz und auf Youtube sehr viele Tutorials, auf dem iPad mag Goodnotes 6, was dort etwas leistungsfähiger ist, beliebter sein, aber auf Android und Windows hat Nebo ganz eindeutig die Nase vorn.
Daher kommt Nebo im August 2024 bei der Bewertung im Google Play Store auch zurecht auf 4,1 von fünf möglichen Punkten.
Microsoft OneNote und Whiteboard
Wenn man ohnehin ein (schulisches) Office365-Konto besitzt, gehören auch zwei Programme von Microsoft auf die Android-Liste für gute Notizbuch-Apps: Das erste wäre Microsoft OneNote, was ein sehr mächtiges Werkzeug zum Anlegen von Notizen ist. Im Unterschied zu Goodnotes oder Nebo gibt OneNote dabei viel stärker hierarchische Strukturen vor – das kommt aber all den Schülern und Lehrkräften entgegen, die Struktur nicht von alleine in ihre Unterlagen bringen. Gerade bei Goodnotes kann es schon mal chaotisch werden, weil das Programm mehr Freiheiten lässt. Dagegen kommt man bei OneNote nicht umhin, die Notizen anhand der strikten Struktur anzulegen. Handgeschriebene Notizen stehen bei OneNote, das eher vom Desktop kommt, auch nicht im Vordergrund, sind aber möglich. Generell lässt es sich mit Tastatur aber besser bedienen.
Da OneNote Teil der Office-Suite von Microsoft ist, lassen sich auch viele Funktionen der anderen Office-Programme nutzen. Auch multimediale Inhalte lassen sich einbinden. Etwas schwieriger wird es, wenn man sich ein PDF aus den Unterlagen erstellen lassen will. Hier ist man mal wieder bei Microsoft sehr selbstbezüglich – die präferierte Methode ist hier ganz eindeutig, das Notizbuch über die Microsoft-Cloud zu teilen, was alle zwingt, die selbige mitzubenutzen. Und natürlich setzt die Cloud dann einen Online-Zwang und ein ABO voraus. Der Datenschutz ist gerade im schulischen Umfeld in Deutschland umstritten.
Mit dabei sind auch diverse KI-Funktionen, die Microsoft aktuell für alle Anwender propagiert – diesbezüglich wird es in den nächsten Monaten wohl noch deutliche Erweiterungen geben, auch was Handschrifterkennung etc. angeht.
Das Programm ist sehr mächtig, setzt daher aber auch deutlich mehr Einarbeitungszeit voraus. Als schnelle Notizbuch-App ist es nicht ganz so geeignet, deshalb gibt es noch Microsoft Whiteboard, was aber eher eine Art digitale Tafel für Notizen und Brainstorming ist. Im Vergleich zu OneNote ist es deutlich verspielter.
Beide Programme haben im Internet und auf Youtube eine große Fangemeinde, weshalb es Massen von Tutorials im Internet gibt, bei Microsoft und auch auf Youtube. Im Rahmen der Schuloffensive hat Microsoft auch Funktionen eingebaut, die so ein Alleinstellungsmerksmal sind – beispielsweise der Klassenmodus von OneNote, mit dem man Klassennotizbücher für alle Mitglieder erstellen kann – inklusive eines recht komplexen Zugriffs- und Rechtemanagements.
Auf Google Play haben die beiden Programme mit 4,6 und 4,5 von fünf möglichen Sternen Bestnoten – und was die Funktionalität angeht, sind diese sicher auch wohlverdient.
Samsung Notes
Wer ein neueres Samsung-Tablet hat, kennt dessen Vorzeige-Apps Samsung Notes. Die Apps wird im Google Play Store nicht umsonst mit der Traumwertung von 4,7 von fünf möglichen Sternen geführt.
Da Samsung Notes auf Tablets und Stifte von Samsung optimiert ist, gibt es nichts, was auf einem Samsung Stifttablet flüssiger und intuitiver funktionieren würde. Die Schreibwerkzeuge von Notes erzeugen deutlich überzeugendere Ergebnisse als die Konkurrenz, gerade auch bei Kalligrafie – man kann mit dieser App im Prinzip sogar malen und zeichnen.
Auf einem Tablet mit Samsung-KI übernimmt Samsung Noteshelf vom System die KI-Funktionen, inklusive einer sehr guten Handschrifterkennung (nur die von Nebo ist hier noch etwas besser).
Hinzu kommen noch Funktionen zum Austausch und zum Synchronisieren von Notizbüchern. Notizbücher lassen sich auch in diversen Formaten speichern, darunter PDF, MS Word, MS Powerpoint oder Grafik.
Wenn man eine Schwäche bei Samsung Notes sucht, ist zu erwähnen, dass man sehr leicht den Überblick über Notizen verliert, wenn man nicht selbst auf eine Strukturierung achtet. Für Leute, die Probleme mit Selbststrukturierung haben, wäre Noteshelf daher eher zu empfehlen. Dieses ähnelt in Vielem Nebo und Goodnotes.
Noteshelf
Seit dem S7 ist Noteshelf beim Samsung Galaxy S-Tablet dabei und seither hat sich die App prächtig entwickelt. Sie nutzt viele KI-Funktionen wie die Handschrifterkennung und ist auf dem S9+ momentan meine Lieblings-Notizbuch-App. Die umfangreiche Vorlagenbibliothek von Noteshelf kann mit der von Goodnotes mithalten – und die Vorlagen sind hier in der Regel kostenlos.
Auch lassen sich Notizen relativ gut strukturieren und Organisieren, Noteshelf wählt dabei einen Mittelweg zwischen zu strikter Reglementierung (wie bei OneNote) und allzu großer Freizügigkeit. Nicht mithalten kann Noteshelf bei der Integration von Multimediainhalten. Bilder und Audio funktionieren, Videos nicht. Hier hat OneNote die Nase vorn.
Fazit
Alle oben aufgeführten Apps eignen sich im Prinzip sehr gut als digitales Notizbuch. Samsung Notes ist am besten auf Samsung Tablets mit Stifteingabe optimiert, die Handschrifterkennung von Nebo sucht ihresgleichen, taugt auch für mathematische Formeln. Wer sehr umfangreiche Notizen anlegen will, profitiert von den eher strikten Strukturen von OneNote. Auch Goodnotes ist zwar auf dem iPad ein sehr gutes Programm – die Android-Version kann man aktuell aber noch nicht wirklich empfehlen. Hier muss der Hersteller unbedingt die Handschrifterkennung und einen Offline-Modus nachliefern. Mit Noteshelf gibt es aber eine Alternative, die auch auf Android sehr gute Dienste leistet.
Pädagogische Wundermittel sind allerdings alle Apps nicht: Man wird nicht automatisch bessere Schulnoten erhalten, wenn man sie benutzt und es geht auch nicht unbedingt schneller als mit Stift und Papier. Wenn man sich für digitale Medien begeistert, motiviert es vielleicht mehr, damit zu arbeiten als statt mit Papier, Heften und Schnellheftern. Aber jenseits von Fächern, die multimediale Präsentationen einbinden, besteht dadurch noch nicht automatisch ein Mehrwert.
Problematisch wird es, wenn die Apps analoge Medien wie Schulbücher und Hefte gar komplett ersetzen sollen. Denn die Anzeige- und Bearbeitungsfläche eines Tablets ist geringer als die von Buch und Blatt, soll beides gleichzeitig verwendet werden, muss man ständig switchen – oder man muss die etablierte Trennung von Schulbuch und Schulnotizbuch auflösen durch ein Mischmedium. Das wäre, wenn man alles komplett digitalisieren will, auch zu bedenken.
Wenn, was alltagspraktischer ist, ein Mischbetrieb vorgesehen ist, sind gerade die Funktionen zum Einscannen und eine zuverlässige Texterkennung sehr wichtig.
Keine der oben genannten Apps kann derzeit solide handgeschriebene Texte einscannen und umwandeln, selbst Goodnotes unter iOS nicht – wir haben das im Unterricht in einer Doppelstunde mit dem Leistungskurs Deutsch ausführlich getestet.
Am besten schneidet bei der Texterkennung handgeschriebener Klausuren übrigens noch Google Lens ab. Aber auch da macht die generische Texterkennung noch so viele Fehler (oder baut welche ein), sodass es faktisch schneller geht, den Text nochmal von Hand mit der Tastatur abzutippen. Hier würde nur eine individuell die persönliche Handschrift erlernende KI helfen. Solange so eine Funktion nicht in die Notiz-Apps integriert wird, bleiben sie für einen Mischbetrieb analog/digital nur bedingt nützlich.