Tablets – ein bislang recht unfaires Unterfangen

Technikevangelisten predigen uns ja seit Monaten den Tod von PC und Buch und preisen die himmlischen Dimensionen der neuen, mobileren Geräte an. Nüchtern betrachtet fällt das Urteil aber recht spröde aus: Teuer, noch immer nicht ganz ausgereift und – von der Produktion her betrachtet: ganz sicher unfair gehandelt und das genaue Gegenteil von Nachhaltigkeit.

Tablets und Smartphones als himmlische Frohbotschaft

Schon die New Economy um die Jahrtausendwende träumte davon, ihre Kundenschaft mit Mobilgeräten zu umgarnen um nicht zu sagen: abzuzocken. Damals funktionierte das allerdings noch nicht, diese Kundengeneration war noch zu vernünftig. Weder die Idee, persönliche Daten auf irgendwelche Firmenservern fremdzulagern, noch die, sich mit in schneller Folge anzuschaffenden neuen Geräten dauerhaft an Anbieter zu binden, fand damals genug Abnehmer. Mehr als zehn Jahre später hat sich die Situation gründlich gewandelt. Nachdem ein Steve Jobs und seine Evangelisten die frohe Botschaft vom Mobilgerät neu erfunden und in Form von lasergefräster Hardware in Verbindung mit himmlischen „Clouds“ ästhetisch in neue Dimensionen gehoben hat, laufen die Kunden wie willige Schäflein der IT-Werbung hinterher und lassen sich von der Industrie gründlich scheren.

Dabei ist es inzwischen völlig egal, von welchem Anbieter die Geräte kommen und mit welchem Betriebssystem sie laufen – sowohl Bedienung als auch Benutzerkomfort und leider auch die Produktionsbedingungen der Geräte ähneln einander sehr. Denn alle Hersteller sind inzwischen auf den Schnellzug zum Konsumhimmel aufgesprungen. Die Folge sind nicht nur regelrechte Patentkriege zwischen den IT-Größen um Kleinstfunktionen, sondern auch, dass der Kunde nicht mehr wirklich die Wahl bekommt. Denn welches Gerät er auch wählt, die Konzeption geht immer in Richtung Ultrakonsum. Den Rest bestimmen Marketingmanager und Patentanwälte. Freie Wahl für freie Benutzer und frei konfigurierbare Geräte – das war einmal.

Dass die Erstlinge der neuen Mobilgeräte noch nicht perfekt sein konnten, war klar. In ihrer jeweils vierten oder fünften Generation hatten die Hersteller aber nun eigentlich lange genug Zeit, die Konzeption „Smartphone“ und „Tablet“ zur Reife zu bringen und daher ist recht augenfällig, dass beide in erster Linie darauf ausgelegt sind, ihre Benutzer zum dauerhaften Konsumieren zu verleiten. Am augenfälligsten ist dies beim Kindle Fire von Amazon der Fall, wo das Gerät mehr oder weniger Zugabe für den eigenen Store ist (es wird dafür sogar unter Wert verkauft), aber auch andere Geräte von Apple oder aus dem Android-Lager möchten hauptsächlich diverse „Stores“ und deren Inhalte schmackhaft machen.

Um das möglichst geschmeidig zu tun, erreichen die neuen Geräte in Sachen Bedienkomfort tatsächlich eine bislang unerreichte Intuitivität. Neulich konnte ich eine begeisterte 85jährige beobachten, wie sie kinderleicht ein Apple iPad der vierten Generation bediente und auch schon fest entschlossen war, sich nun auch selbst sowas zuzulegen. Andere Hersteller, wie z. B. Samsung, verbinden Smartphone, Tablet und Fernseher zu einer neuen Einheit, welche die klassischen Spielekonsolen alt aussehen lässt. Multimedialer spielt man auf Smartphone und Tablet, auch wieder (nochmals gekaufte) Klassiker, sehr zum Ärger der Hardcore-Spieleindustrie, für deren Titel die Kunden schwinden. Mit den neuen Geräten werden ganz neue Käuferschichten erschlossen: von den Jüngsten bis zu den Senioren sind diese Geräte für alle etwas, weit mehr,  als es die klassischen Kübel-PCs jemals waren.

Doch so revolutionär das neue Benutzerkonzept auch sein mag, seine Verfechter schießen in ihrer teils pseudoreligiösen Konsumideologie oft über dessen Möglichkeiten hinaus. Versprechen werden da gegeben, die ein solches Gerät kaum erfüllen kann. Wieso sollte ich ganze Bücher auf dunklen, spiegelnden Monitoren lesen wollen? Was nützen einem denn diverse Clouddienste, wenn man oft keine oder keine ausreichend schnelle Internetverbindung hat? Will ich meine privaten Daten überhaupt in nebulösen „Clouds“ lagern? Wozu soll ich mein ganzes Privatleben mit einer anonymen „Internetgemeinde“ teilen? Wer sorgt dafür, dass meine Daten jeweils nicht in falsche Hände geraten können? Wer erhält sie mir? Wer soll auf Dauer den aufwändigen Spaß zahlen?

Was die Rezeption am Gerät direkt angeht: Hohe DPI-Zahlen mögen zwar im Vergleich mit einem herkömmlichen PC-Monitor beeindrucken, aber im Freilandbetrieb sind noch alle Bildschirme zappenduster. Die ästhetische Qualität eines gedruckten Bildbandes erreicht kein Gerät, geschweige denn das Preisleistungsverhältnis – was die E-Book-Partei neuerdings zu ideologischen Feldzügen gegen die angeblich altbackene „Tote-Baum-Fraktion“ veranlasst. Liebe Leute, Elektronik zur Glaubensfrage hochzustilisieren ändert an der Realität auch nichts: Auf seinem  ureigenen Terrain, der Typografie, sind alle elektronischen Lesegeräte dem klassischen Buchdruck noch haushoch unterlegen! Aber auch einer Spiegelreflexkamera können die Multifunktionsgeräte noch nicht das Wasser reichen.

Möglichkeiten werden nicht genutzt

Viel sinniger sind die Tablets im Bereich der Mischmedien, vor allem bei der Verbindung von Text, Bild und Ton und Interaktivität. Doch fällt hier leider auf, dass die technischen Möglichkeiten von Tablets kaum genutzt werden. Von der Software bis zur Hardware sind sie hauptsächlich zum Glotzen und allenfalls Daddeln oder für andere Spaßanwendungen ausgelegt, nicht zum anspruchsvollen Produzieren. Kaum eine Anwendung genügt professionellen Kreativansprüchen. So gibt es zwar inzwischen von namhaften Herstellern Grafik- und DTP-Applikationen, doch ihre Funktionalität reicht bei weitem nicht an die der PC-Pendants heran. Die aufgenommenen Videos lassen sich auf den Geräten selbst nur recht primitiv weiterverarbeiten. Auch Office-Anwendungen haben nur begrenzte Funktionsfähigkeit: Für E-Mails und schnelle Notizen mag das reichen, aber weder für Layout- noch für eine Steuererklärung lassen sich die vorhandenen Apps vernünftig verwenden.

Dabei lädt der neue Formfaktor zu bequemerem Arbeiten doch gerade ein. An der Ausrüstung und der Rechenkraft liegt es meistens auch nicht. Hardwaremäßig trennt einige Vertreter der Gattung, z. B. das Samsung Galaxy Note, nur noch sehr weniges von einem vernünftigen Zeichentablett. Die integrierten Kameras bei Apple, Asus oder Samsung ersetzen oft problemlos Einsteigerdigitalkameras, die inzwischen hochauflösende Bildanzeige ist hervorragend. Die Weiterverarbeitungsmöglichkeiten sind es aber nicht.

Apple-Geräten fehlen meist absichtlich so grundlegende Dinge wie Standardanschlüsse für den reibungslosen Datenaustausch ohne WLAN oder iTunes, Adapter muss man teuer zukaufen. Bei Android-Geräten ist eine Druckfunktion im Betriebssystem erst gar nicht vorgesehen. Angeblich braucht man sowas ja nicht mehr: Man kann ja seine Bilder auch über „die Cloud“ bei Druckfirmen ausdrucken lassen.

Ärgerlicherweise gewinnt der Kunde bei allen Smartphones und Tablets den Eindruck, dass hier absichtlich Verwendungsmöglichkeiten weggelassen oder nur angedacht, aber noch nicht realisiert sind, damit man regelmäßig die Folgegeneration oder Zusatzgeräte und Adapter erwerben muss oder per Internet auf irgendwelche Firmendienste zurückgreifen. Bei fast allen Herstellern gehört das Nachkaufen sogar zum Konzept: So kann man bei Apple-Geräten weder Akkus tauschen noch gar Reparaturen ausführen (die Geräte sind aus angeblich ästhetischen Gründen verklebt), beim Android-Lager ist die Update-Politik meist desaströs – in Folge werden Sicherheitslücken oft nicht zeitnah geflickt. Das ist eine recht gefährliche Angelegenheit, wenn das Gerät mit der Kreditkarte gekoppelt ist. Neue Versionen gibt es meist nur mit dem Nachfolgegerät. Man nennt das geplante Obsoleszenz. Designer lernen heutzutage schon  bei ihrer Ausbildung, wie man sie geschickt in Produkten umsetzt.

Die mit dem Umtauschzwang betriebene gigantische Ressourcenverschwendung ist ein Skandal, ebenso die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Fertigungswerkstätten, die durch die von den Herstellern erwünschte Massennachfrage erzwungen werden. Alternativen für Fairhandelsfreunde sind keine in Sicht, ein Boykott dagegen wird zunehmend schwieriger. Denn wer sich als Konsument einmal gebunden hat, der kann sich kaum noch loseisen ohne Datenverluste.

Schöne, neue Welt …

 

Über Martin Dühning 1493 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.