Strebergärtnerei, missglückt

Kinder lieben Gänseblümchen und Löwenzahn, doch Streber-Gärtner verabscheuen diese Blümchen im Garten. Weil sie doof sind, findet Martin Dühning.

Doof sind sie, diese Dinger, die in Massen die Gärten verunstalten, unkrautgleich, die Streber-Gärtner. Wenige Blümchen noch gibt es, die ihrem Reglementierungsdrang eben so entkommen konnten, irgendwo, in versteckten Ecken, gerade noch. Doch die modernen Gartenstreber gehen sehr vermessen vor: Da wird alles nachgezählt, zielgepeilt, zurechtgestutzt und mit Vertilgungsmittel klinisch rein gesprüht. Das Leitbild des modernen Standardgartens: In möglichst kurzer Zeit und mit einem Mindestmaß an Arbeit und minimalen Geldmitteln sollen grandiose Ergebnisse hochgezüchtet werden, messbare Ergebnisse, zählbare Ergebnisse, zielgenaue Ergebnisse. Was dem widerspricht, sofern es nicht bereits zurechtgestutzt wurde oder mit Reinigungsmitteln klinisch vertilgt, das wird fachgerecht vom modernen Gartencurriculum erschlagen.

Das Problem, so könnte man meinen, sind die offensichtlich unfähigen Gartenbesitzer, die mit Zeit und Geld so nichts weiter anzufangen wissen als die göttliche Schöpfung zu verhunzen. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Sind doch – auch wenn sie selbst das anders sehen mögen – Gartenbesitzer keine Götter und ihre Gärtlein nicht die Welt. Und so verhallt manches gesprochene Wort sonntagsredengleich, ohne dass es Licht wird, oder wenigstens eine kleine Nachtkerze. Und keiner kann sehen, dass es gut ist. So mancher zieht sich in seinem Verlangen, ein Gartentitan zu sein statt ein Wicht, dann einen bösen Hexenschuss zu oder scheitert an einer anderen Déformation professionnelle. Am liebsten arbeiten sie deshalb ohnehin für sich allein. Geradezu possierlich führen sie sich auf, wenn man ihnen damit droht, statt ihrer Züchtungen ihre eigenen Nasen zu vermessen oder sie gar alle unter eine große rote Zipfelmütze zu stecken. So sind sie halt, die Gartenzwerge. Aber das ist nicht das eigentliche Problem, wenngleich, wie gesagt, sie selbst das auch anders sehen mögen.

Auch sind nicht einfach die Blumen schuld, diese dummen Dinger, welche partout nicht so wachsen wollen wie man das gerne hätte. Es wird auch nicht immer schlimmer mit ihnen. Denn es grünt und blüht ja durchaus, selbst im Winter, das Gänseblümchen. Und wenige Kräutlein wachsen so schnell, zuverlässig und nachhaltig wie der Löwenzahn, eine wirklich dankbare und fruchtbare Pflanze. Doch Pusteblume! Das will man ja alles nicht haben! Welcher vernünftige Erwachsene liebt schon „Unkraut“: Mimosen sollen es sein und Tausendschönchen, Sonnenblumen und Prunkrosen und am liebsten Wunderbohnen, die in immer noch kürzerer Zeit zu immer größeren Preisgewächsen auswuchern, an denen man sich dann in den Himmel winden und unermessliche, unzählbare Schätze finden kann, mit denen niemand, der vorher noch bei Verstand war, überhaupt je gerechnet hat. Ein Zaubergarten eben, der sich am besten gleich ganz von selbst führt und in dem irgendwann die miesepetrigen Gartenzwerge selbst verzichtbar werden – ein ewiges Schlaraffenland, großartig, global gut und total beherrschbar, der heimliche Gartentraum vieler Erwachsener.

Das ist vielleicht das eigentlich Problem: zu viele streberische Erwachsene, die vom Wachsen, Grünen und Blühen doch per se gar keine Ahnung haben als Auslaufmodelle, die sie sind. Nein, es fehlt uns an Kindern, diesen kleinen Realisten. Schon sind es viel zu wenige.

Kinder und Gärten ergeben eine besondere Kombination. In optischer Hinsicht betrachtet mögen Kindergärten oft nicht den Standards entsprechen, nach deren Formeln pflichtbewusste Gartenexperten heute Gärten bilden. Im Gegenteil – bisweilen präsentieren sich Kindergärten eher wie überdimensionierte Sandkästen, durchgewühlt, niedergetrampelt, spielzeuggefüllt und so gar nicht messadäquat. In jedem Fall stimmt die Rechnung nicht, wie fast jeder ernstzunehmende Gartenzwerg betonen wird. Doch was erwachsene Augen sehen, trifft häufig nicht die Wirklichkeit der jungen Bewohner, Blumen wie Kinder. Die haben andere Blickwinkel.

„Wir wollen unseren Garten nicht bloß angucken oder nachmessen oder darüber reden, wie man ihn besser gestalten könnte, wir wollen jetzt darin leben und spielen!“ – würden die Kinder vielleicht antworten, wenn man sie fragte. „Lasst uns doch einfach mal wachsen!“ – würden die Blumen sprechen, wenn man sie ließe. Andererseits, und das muss man offen zugeben, sind gerade deshalb Blumen und Kinder gar keine so guten Gärtner, weil die meisten modernen Gartenkulturgebilde sich doch so gar nicht zum Spielen oder Wachsenlassen eignen. Manche dieser genoptimierten, eilig zusammengeklonten, mehrfach hybriden Züchtungen sind ja so schwindsüchtig, dass sie schon zusammenbrechen, wenn man sie bloß genauer anblickt, worüber sich sogar namhafte Gartenzwerge bisweilen Sorgen machen, wenn sie nicht gerade mit sich selbst oder Gartenherrschaftsplänen beschäftigt sind.

Was aber wäre, würde man sich nach Blumen und Kindern richten? Wenn man auf Vorzeigbarkeit, Mess- und Zählbarkeit und die geometrische Zielgenauigkeit verzichtete? Wenn man das Zurechtstutzen sein lassen und das Vertilgungsmittel entsorgen würde? „Das wäre dann ein wüster Spielplatz und kein adäquater Standardgarten!“ – würde die oberste Gartenkulturaufsicht einwenden und mit großem Aufwand einen ganz bösen Verweis ausstellen; sofern sie es überhaupt bemerken würde, denn auch Oberzwergen mangelt es oft an Weitsicht.

Die Zukunft gehört wahrscheinlich den wüsten Spielplätzen, eben drum…

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.