Do, what we want…

D3*W, oder „Do what we want“, so spottete man seinerzeit über das Betriebssystem OS/2, sei das GUI-Prinzip von IBM. Grund für diese wenig freundlich gesinnte Annahme waren die augenfälligen Schwierigkeiten, welche viele Benutzer mit der „Workplace Shell“ hatten, dem Fenstermanager von OS/2. Dieser wies ein für Anfang der 90er geradezu revolutionäres Konzept einer objektorientierten Arbeitsoberfläche auf. Doch Objektorientierung hin oder her, die meisten normalsterblichen Anwender kamen mit dem Konzept nicht zurecht und flüchteten sich zum Konkurrenten Microsoft (dessen offizielles Motto war damals: „Where do YOU want to go today?„). Microsoft bot zunächst mit Windows 3.11, dann mit Windows 95 ein zwar wesentlich primitiveres, aber auch eingängigeres Konzept der Benutzerführung. Besonders Windows 95 setzte mit seinem schlichten Startmenü und dem individualisierbarem Desktop und Windows Explorer einen Standard, der sich über die Jahre als äußerst tragfähig erwies und der viele Benutzeroberflächen bis heute geprägt hat.

Diesen Standard gibt Microsoft mit Windows 7 endgültig auf – denn das klassische Startmenü soll es nun nicht mehr geben. Zwar lässt es sich auf Umwegen noch emulieren. Doch das, was Windows auszeichnete, nämlich die primitive Eingängigkeit, die einfache individuelle Passung, sie ist nicht mehr zu haben. Statt dessen scheint man auch in Microsoftgefilden nunmehr zum alten Motto „Do what WE want!“ übergegangen zu sein. Begründung: Um das Wahre und Richtige durchzusetzen darf man den Anwender auch nötigen. Es ist das gleiche Konzept, was schon bei Vista und Office 2007 nicht funktioniert hat und viel früher bei OS/2, dessen indirekte Nachfolger alle NT-basierten Windowsversionen ja sind – bislang allerdings nur, was den Kernel betrifft, nicht die Benutzerführung.

Doch da hat man inzwischen kräftig nachgeholt. Es begann bereits im wenig beliebten Windows ME, als das Betriebssystem den Benutzern erstmals nachdrücklich nahelegte, in welche Ordner er seine Dateien gefälligst zu speichern habe. In den Folgeversionen wurde dieses Verhalten kräftig ausgebaut. In Vista gängelt das Betriebssystem den Nutzer nicht nur mit einem weitgehend entpersonalisiertem Windows Explorer, sondern auch mit seinen endlosen Berechtigungsanfragen und bestrafte ihn damit für schlecht programmierte Anwendungssoftware. Microsoft muss man dabei zu Gute halten, dass zwischen dem Betriebssystem und der darauf laufenden Anwendungssoftware ein kleiner Unterschied besteht und dass es mehr als berechtigt ist, vor allzu selbstherrlich agierenden Anwendungsprogrammen zu warnen. Doch an der Verärgerung der Benutzer änderte dies genauso wenig wie am schlechten Ruf, den sich Microsoft mit den in Vista integrierten und damals schon anachronistischen Zugeständnissen an die Rechteverwertungsindustrie machte.

Office 2007 beraubte den Benutzer nicht nur der altvertrauten Oberfläche, sondern jeglicher Möglichkeiten, dem neuen Ribbonkonzept auszuweichen. Der Schönheit der Benutzeroberfläche wurde die langjährige Erfahrung der Office-Kenner geopfert und die Folgen waren katastrophal: Hier waren es besonders die langjährigen Getreuen, welche die neue Version verteufelten, weil die Oberfläche Kennern zuviel an brachialer Umgewöhnung abverlangte. Nun hat das Ribbon-Konzept durchaus gewisse Vorteile in der Benutzerführung. Doch der Erfolg dürfte weitergehend begrenzt sein. Begründet liegt das in einer Verwechslung von Ästhetik und Adäquanz, wie sie in der Geschichte der Menschheit regelmäßig vorgenommen wurde und wie sie nicht nur in einigen apfelfreudigen Computerkreisen stark verbreitet ist. Nun gut, zwischen einfachen Freaks und professionellen Designern muss man vielleicht unterscheiden. Aber wie auch immer, hier wie dort ist die Verehrung der Schönheit nur begrenzt angemessen, nämlich dann, wenn sich die Ästhetik in den Dienst des Benutzers stellt und nicht dazu übergeht, sich dem Benutzer anzubiedern oder gar – wie bei Office 2007 der Fall: aufzuzwingen.

Leider geht auch Windows 7 bei all den Vorteilen, die es gegenüber seinem traurigen Vorgänger Vista hat, immer noch den gleichen Weg, da einer Hauptgrundsätze zu sein scheint: Einfache Menüs sind OUT und die Benutzer müssen IN sein, notfalls zwingt man sie dazu. Drum gibt es auch keine Möglichkeiten mehr, dem zu entgehen. Diktat der Mode, nicht mehr und nicht weniger. Denn dass bei gleichen Bedienungsbedingungen inhomogene Mischungen von Menü und Tabs mehr taugen sollen als die altbewährten Konzepte, ist doch äußerst fraglich. Tatsächlich wurden die Möglichkeiten, die Anwendungsprogramme an persönliche Vorlieben oder Barrierefreiheit anzupassen, dadurch deutlich eingegrenzt. Das Traurige an der Geschichte ist, dass die knubbeligen neuen Bedienelemente nicht mal hinreichend an aktuelle „Netbooks“ oder die kommende Touchscreenmania angepasst sind und damit schon heute wieder hinfällig. Was jetzo ein Diktat ist, wird morgen schon schrecklich anachronistisch wirken. Dann werden für die Benutzer die Zwangsumschulungen noch ärgerlicher sein, weil sie sich als völlig überflüssig erweisen. Nun könnte man den Benutzern ja raten: Gefällt euch das Fenstermanagement aus Redmond nicht, verzagt nicht, denn es gibt ja noch Alternativen.

Gibt es die Alternativen aber tatsächlich? Als ich vor einiger Zeit zu neueren Versionen der Linux-Derivate OpenSuse und Ubuntu wechselte, erlitt ich einen Kulturschock – denn offenbar kopierte man so manches, was mich schon an Vista unheimlich gestört hatte. Und auch Firefox und OpenOffice sind gerade dabei, das Redmonder Rad neu zu erfinden, indem man Menüzwangsverzicht und Ribbons mehr oder weniger kopiert. Verfechter der Szene werden nun einwenden, dass es doch ganz lieb gemeint sei, sich jeweils ganz anders nennt und dass es auch deutliche Detailunterschiede gebe – und doch, es zwingt dem Benutzer die gleiche Bedienungsweise auf wie die Microsoft-Pendants. Verzeihung, aber es muss offen gesagt werden: Mal wieder weiß man seine Möglichkeiten nicht besser zu nutzen, als anderer Leute Konzepte mehr schlecht als recht zu kopieren!

Am programmiertechnischen Können und dem guten Willen der OpenSource-Szene gibt es nichts zu zweifeln, aber in ästhetischer Hinsicht weisen viele Projekte doch eine deutliche Einfallslosigkeit auf. Immerhin, in den Anfangszeiten von Gnome gab es einige recht gute neue Wege, aber sie wurden wohl aufgegeben, weil sie nicht standardkonform genug waren. Und Standards sind ein mächtiger Faktor in der EDV-Welt, oft auch wichtiger als Ästhetik. Mit der viel beschworenen Intuition ist es dagegen hier wie dort nicht weit her. Intuitiv und schön sind nicht das gleiche: Intuitiv ist eine Bedienung erst dann, wenn sie auch nützlich ist und dem Benutzer und seinen Vorlieben entgegenkommt, statt ihn zu überfahren.

Gerade weil hier bei kommerziellen Anbietern so viel Nachholbedarf besteht und die Ohren der OpenSource-Szene eigentlich geöffneter für individuelle Benutzerwünsche sein sollten als die kommerzieller Anbieter mit Prestige und damit verbundenem Stolz, sollte man doch eigentlich hoffen dürfen. Doch entweder sind auch die freien Programmierer mit gewissem hinderlichen Stolz versehen, oder aber die Benutzer selbst sind fantasie- und ideenlos, wenn sie befragt werden. Drum kommt allenthalben überall das gleiche heraus – Cupertino und Redmond lassen grüßen.

Dabei gibt es akut ein Konzept, was seinen durchschlagenden Erfolg großer Intuition verdankt: Touchscreens. Die Apfel-Handys haben es vorgemacht: Statt kryptische Tastenkombinationen einzutippen und sich dabei die Finger zu verknoten, zieht man einfache Gesten auf dem Bildschirm. Erste Computer mit diesem Konzept gibt es bereits – und diesmal ist gar nicht Apple zuerst. Es dürfte aber klar sein, dass Apple mit ihrem Benutzerkonzept, was Software angeht, den Konkurrenten voraus sind. Denn sowohl die alten Menüs, als auch die neuen Ribbons taugen nicht für Fingerbedienung, dazu sind sie zu feinteilig, zudem gibt es bei Fingerbedienung keine rechte Maustaste, mit dem sich versteckte Optionen finden ließen – der Todesstoß für das Redmonder Konzept. Nun ist aber auch Apples Betriebssystem noch nicht gänzlich an Fingerbedienung angepasst und auch Microsoft ist mit Windows 7 da noch keineswegs am Ziel. Damit gäbe es für freie Betriebssysteme und Anwendungen gerade jetzt große Chancen, mal wirklich innovativ zu sein um ein neues und innovatives Konzept zu entwickeln, das dem Benutzer wirklich nützt und das gefällig ist.

Die Chancen waren nie größer als jetzt – denn es besteht Handlungsbedarf – aber ob man sie auch nutzen wird? Ich habe da so meine Zweifel…

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.