Lämmlein, DU schweige!

Derzeit habe ich sehr oft das Gefühl im falschen Film zu sitzen, oder etwas treffender frei nach Michael Ende – auf einem Dampfer zu sein, der in die falsche Richtung fährt. Auf diesem kann man bei besten Willen nicht weit in die richtige Richtung gehen. Jedenfalls verstehe ich die Welt nicht mehr: Das kloppen die beiden machtvollen Stellvertreter der größten Wirtschaftsmächte auf den Premier des kleinen Griechenland ein dafür, dass er das aus demokratischer Sicht einzig Richtige wagte (wenn auch seinerseits mit politischen Hintergedanken): das griechische Volk selbst über seine Zukunft abstimmen lassen, mit allen Konsequenzen, welche die jeweilige Antwort mit sich bringt.

Freilich, wer die Wahl hat, kann auch falsch wählen. Die Folgen sind fatal. Aber was hier falsch und was richtig ist, das scheint mir bei weitem nicht so sonnenklar wie der griechische Himmel in den Werbeprospekten deutsch-französischer Politiker. Glaubte man denn wirklich, eine gemeinsame Währung würde dazu führen, dass alle Volkswirtschaften plötzlich gleich ticken? Oder hat man mit einer offenbar institutionell viel zu wenig abgesicherten Gemeinschaftswährung nicht vielleicht ungeduldig ein politisches Steckenpferd geritten, das nun die europäische Idee als Ganze in den Straßengraben zu reißen droht?

Hier wie dort werden nur Klüngel offenbar und jede Menge Geschäftemacherei auf Kosten des europäischen Gedankens. Dramatisch, ja geradezu filmreif ist das in der Tat, was in den letzten Wochen geboten wurde, den Drehbuchschreiber sollte man am Besten gleich für die nächste Schmierenkomödie aus Hollywood verpflichten und die Akteure, unsere Politiker, passen dort vielleicht auch besser hin. Als Wähler, der alle paar Jahre selbst einmal die Wahl hat, mehr auch nicht im aktuellen System, ist man jedenfalls baff, wenn man sich die vielen Richtungswechsel der vergangenen Monate ansieht. Zu augenscheinlich ist es, dass es vielen längst nur noch um Machtverlängerung geht. Es wird nicht nur in Griechenland, sondern auch anderswo höchste Zeit für Neuwahlen.

Allerdings: welche Wahl hat der deutsche Wähler derzeit überhaupt noch? Regiert doch längst TINA („There Is No Alternative“), das politische Etablishment wirkt immer öfter wie reine Staffage, die den jeweiligen ökonomischen Notwendigkeiten hinterherrennt, statt sinnig vorzuplanen. Mögen manch finanzielle Hebelkonstruktionen ihre Wirkung auch verfehlen, die politischen Hebelfunktionen funktionieren allzu deutlich: Wer den Mächtigen der europäischen Plutokratie nicht passt, wird plattgemacht. Die sehr ernüchternde Botschaft: Das Volk hat in Europa gefälligst nicht abzustimmen, denn es könnte dabei Fehler machen. Die politischen Eliten machen diese natürlich nicht! (Dass man sich andernorts mal einfach so um ein paar Milliarden Steuergelder verrechnet, zählt nicht. Das gehört nicht hierher.)

Ob man so das verlorene Vertrauen der Bürger in Währung und politische Partizipation in Europa wieder wett machen kann, mithin Europa als Gemeinschaftsprojekt aller Bürger wahrnehmbar, ist mehr als fraglich. Als kleiner Steuerzahler hofft man inzwischen nur noch, dass die schwindelerregenden Summen, mit neuerdings plötzlich jongliert wird, nicht allzubald im Sturzflut einer Inflation enden, die man schlimmstenfalls auch mit einem Plebiszit in Griechenland hätte haben können. Dann hätte der Volkssouverän immerhin partiell bewusst Verantwortung getragen, um dann unausweichlich, jedoch heroisch sein Schicksal zu tragen wie der griechische Held der Antike. Nun aber bleibt das Gefühl, Teil einer Herde von griechischen Berglämmlein zu sein, die zur nächsten Schur gebracht werden, verschüchtert dahingetrieben.

Ein schwarzer Tag für die Demokratie in Europa ist das und ein guter Tag für so manchen Plutokraten.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.