Es ist eine Schande!

Es ist eine Schande, dass in diesem unserem Lande, nach all dem Traurigen, was die deutsche Geschichte zu bieten hat, gut zehn Jahre lang eine Gruppe von rechten Terroristen durch die Landschaft kurven und unbehelligt reihenweise morden konnte. Mehr allerdings ist noch eine Schande, mit welcher Arglosigkeit nun noch mancher mit dieser traurigen Tatsache umgeht. Schlimmer: Dass auch nachdem dieser Skandal aufgedeckt worden ist, im Internet weiter offen gehetzt und zur Tötung aufgerufen wird von Journalisten, Politikern oder auch Bürgern mit Migrationshintergrund – und das ohne irgendwelche Folgen für die Betreiber, das ist untragbar!

Aber das ist Deutschland 2011!

http://www.gesichtzeigen.de/Freilich, wir Deutschen sind ein Volk von Mondkälbern, die im seligen Glauben leben, man könne Missstände dadurch beheben, dass man einfach ein Gesetz erlasse. Als ob sich irgendein Problem so lösen ließe! Der Gesetze, die Straftaten verbieten, haben wir wahrlich genug. Leider aber gibt es auch genug Vorwände, um sich später aus der Affäre zu ziehen, wenn es darum geht, Gesetze oder auch Grundrechte im Alltag durchzusetzen.

Wegschauen, leugnen, sich drücken: Es gibt so viele Möglichkeiten, Unrecht währen zu lassen und seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen und seltsamerweise scheint selbst virtuell Stuttgart 21 oder manche Abi-Party mehr Menschen zu mobilisieren als jede einfache Menschenrechtsdemo, wenn wieder Glatzköpfe und selbsternannte Helden im Dorf XY aufmarschieren.

Wo sind die „Wutbürger“, wenn es ums Eingemachte geht, um die Wahrung der Menschenrechte? Warum funktionieren Flashmobs hier offensichtlich nicht? Wo sind die Akzente oder „Gefällt mir“-Buttons für ein zwischenmenschliches Miteinander, einfachste Zeichen für Verständigung? Wo findet sich noch Zivilcourage, außer in Altersheimen, wo die letzten Augenzeugen der letzten Katastrophe, die Millionen von Mitläufern anrichteten, gerade dahinschwinden?

Wer vertritt den europäischen Gedanken, der dem braunen Elend als einziger etwas entgegenzusetzen hätte, heute noch wirklich?

Die rechten Flecken scheinen zum Glück weit weg vom Klettgau. Aber mutige Initiativen sind überall selten. Auch im sonnigen Süden sieht es dort nicht besser aus. Hier hatten wir nur länger Zeit, in den Dörflein die braune Vergangenheit aus den Familienalben und der Heimatgeschichte zu tilgen, die Zeit und der Tod lösten hier das Problem mit so manchem Altnazi.

Gelernt hat man aber nicht unbedingt, vielmehr verdrängt. Ein breites Desinteresse ist geblieben, gedeiht sogar am Klettgau-Gymnasium – wo z. B. ein Denkmalprojekt zu Gurs in Klasse 9 z. B. zwar zum Schuljahresbeginn angeboten wurde, aber mangels Beteiligung gar nicht erst zustande kam. Auch in der Freizeit ist oft Fehlanzeige: Man bleibt sich lieber treu und spielt lieber im Sport- oder Musikverein, wie schon seinerzeit im Klettgau.

Am Gymnasium der Gegenwart versagen selbst die professionellen Gremien regelmäßig: Was z. B. kritische Schülerzeitungsartikel von Schülern für Schüler angeht: Fehlanzeige! Die kritischste Stimme dort ist noch der AG-Betreuer, ansonsten kein Wort des Mahnens und Gedenkens, aber auch keine SMV-Aktionen, auch von der Lehrerseite oder der Schulleitung ist wenig zu den traurigen Jubiläen in diesem November zu hören, kein Wort der Entrüstung oder Solidarität zu den Skandalen der Gegenwart. Nichts…

Es ist ein bezeichnendes Zeichen, dass die Zeichen und Worte ganz fehlen, dass sich die Menschen schon wieder massenhaft wegducken, wenn sie doch eigentlich bunte Farbe bekennen müssten um das zu erhalten, wofür die vergangene Generation seit 1945 gekämpft hat. Aber wir haben wahrscheinlich alle viel zu viel zu tun, als um uns um so Nebensächlichkeiten zu kümmern. Lieber sorgt man sich um seine Ersparnisse (als wenn der Euro allein Europa wäre), oder man tauscht zur Ablenkung auf Facebook Skandalfotos aus, daddelt Handy-Spielchen, amüsiert sich auf Parties, setzt sich unnötige Termine in den Kalender und hetzt von Shoppingevent zu Shoppingevent. Das ist Deutschland 2011 – auch im Klettgau.

Aber warum sollte es im Kleinen funktionieren? Ist doch Schule nur Abbild der Gesellschaft: Selbst die große Politik scheint hin und her gerissen. Im Betreiben, den Euro zu retten, opfert man leichthin lieber die Völkerverständigung, indem man mit Völker reglementierenden Kredithämmern vollendete Tatsachen setzt, Süden gegen Norden aufhetzt und umgekehrt. Mit dem lange ausgeblendeten Problem der innerdeutschen rechten Parallelgesellschaft geht die große Politik zögerlich und nur reaktiv um. Wenn es den Politikern selbst jetzt noch unmöglich erscheint, eine offen verfassungsfeindliche Partei wie die NPD (die freilich nur die Spitze eines Eisbergs ist) zu verbieten, ja was soll man dann noch hoffen?

Politiker wie Durchschnittsbürger machen es sich auch zu leicht, wenn sie beim aktuellen Skandal die Schuld einfach auf hinterhöflerische Geheimdienste verschieben, die offenbar jahrelang nicht in der Lage waren, ihr vorhandenes Wissen untereinander auszutauschen und zusammenzuarbeiten. Sicher, es sieht da nach wahnsinnig viel Dilettantismus aus. Andererseits, wer die Budgets der Exekutive ständig kürzt „um künftiger Generationen willen“, sodass es allerorts an Polizeibeamten fehlt, insbesondere auch dort, wo sie wirklich gebraucht würden, wenn rechte Schlägertruppen teils besser ausgerüstet und vernetzt sind als die Ordnungshüter, der muss sich nicht wundern, dass der Rechtsstaat mancherorts nur noch auf billigem Büropapier existiert.

Wo ihn aber offenbar auch die Bürger nicht vermissen, weil sie ja wichtigeres zu tun haben, da ist der Grundrechtsstaat ganz verloren.

Vielleicht ist das schon Deutschland 2011.

Dann aber: Armes Deutschland…

Über Martin Dühning 1500 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.