Interview mit Lysandra Prado

Lysandra Prado als Generalsekretärin der Neu-Nitramischen Konföderation
Lysandra Prado als Generalsekretärin der Neu-Nitramischen Konföderation

Die neue Generalsekretärin im Gespräch: Für Anastratin.de konnte unser Korrespondent Nils Kawomba eines der sehr seltenen Exklusivinterviews mit Lysandra Prado durchführen.

Anastratin.de: Frau Prado, Sie sind seit einigen Wochen neue Generalsekretärin der Neu-Nitramischen Konföderation, können Sie sich und Ihr Amt für unsere auswärtigen Leser kurz erläutern?

Prado: Mein Name ist Lysandra Paidhana Prado, ich bin eine Tyrillianerin aus der Bundesrepublik Tyndalis. Zur Zeit übe ich das Amt der föderalen Generalsekretärin aus, das ist eine Art Kanzleramt. Die Neu-Nitramische Konföderation ist eine Subsidialpolikratie, das bedeutet, der Staat ist von unten nach oben organisiert, beginnend bei Familien oder Sippen über Kommunen, Teilstaaten und zuletzt den Föderalstaat. Grundprinzip ist das der Subsidiarität, folglich sollen nur solche Kompetenzen durch den Gesamtstaat abgedeckt werden, welche die untergeordneten Instanzen überfordern würden. Das betrifft hauptsächlich die zwischenstaatliche Verwaltung, die Handels- und Außenpolitik. Symbolisches Staatsoberhaupt ist der Kaiser, für den ich die Geschäfte führe. Die eigentlichen Entscheidungen fällt mein Kabinett.

Anastratin.de: Was sind dann ihre konkreten Aufgaben?

Prado: Meine Hauptaufgabe ist es, die konkrete Tagespolitik innerhalb der Konföderation zu gestalten. Dazu gehört es hauptsächlich, den äußeren Rahmen festzulegen und kommunikativ zu vermitteln. Gleichzeitig führe ich die praktischen Amtsgeschäfte. Das klingt nicht nach sehr viel, ist aber eine anspruchsvolle und durchaus wirksame Aufgabe, denn faktisch läuft alles über meinen Schreibtisch.

Anastratin.de: Was sehen Sie als Kernprojekt Ihres Mandates an?

Prado: Das Hauptproblem, das wir angehen müssen, ist und bleibt die aktuell defizitäre Handelspolitik. Auf dem Papier macht die Konföderation große Gewinne, die intergalaktische Handelspolitik der vergangenen Dekade vernichtet allerdings zunehmend unsere Nettogewinne. Der intergalaktische Handel und Finanzsektor ist zur Zeit alles andere als nachhaltig, faktisch wird Geldvernichtung im großen Stil betrieben, das tangiert auch unsere eigenen Staatsreserven. Hier müssen wir dringend eine Lösung finden, wenn unsere eigene Wirtschaft nicht mit in einen Abwärtssog getrieben werden soll.

Anastratin.de: Viele oppositionelle Politiker behaupten, das eigentliche Problem läge in einer mangelhaften Außenpolitik begründet, die es nicht geschafft hat, stabile Bündnisse einzugehen.

Prado: Es stimmt schon, dass die Bündnispolitik der vergangenen 120 Jahre als gescheitert angesehen werden muss. Das ist aber ein anderes Problem. Ich wage auch zu bezweifeln, dass eine andere Bündnisstrategie irgendetwas an den konkreten sozioökonomischen Problemen der Gegenwart geändert hätte. Die größten außenpolitischen Probleme wurden durch unsere Bündnispartner quasi „importiert“, sie sind nicht genuin nitramisch. Meist wurden wir nur in anderer Leute Krisen mit hineingezogen. Aber wir waren Verbündete, wir haben geholfen, so gut es ging, unsere Kräfte reichten in den meisten Fällen nicht aus. Daher können wir mit dem Ergebnis natürlich nicht zufrieden sein – das Scheitern unserer Verbündeten ist in Teilen auch unser Scheitern. Das ist für uns absolut tragisch. Für anderer Leute Unglück sind wir aber moralisch nur begrenzt haftbar. Es ist auch nicht so, dass Nitramien derzeit isoliert wäre, die aktuelle sozioökonomische Lage würde nur ein komplett anders geartetes, festeres Bündnisnetz erfordern, und wenn ich ganz offen sein darf: Das scheint mir schon im Ansatz unmöglich, wenn Sie nicht unsere Freiheitsliebe und unsere ethischen Prinzipien über Bord werfen wollen. Hier geht für mich aber unsere eigene Dignität über bloße Effektpolitik.

Anastratin.de: Mehr solide Bündnispartner würden aber auch mehr Handel und mehr konkrete Hilfe in Notlagen bedeuten.

Prado: Zeigen Sie mir in der Nähe solide, ehrenwerte und bereitwillige Bündniskandidaten, und ich werde sofort eine Delegation dorthin schicken! Was den Handel angeht: Wir treiben in unseren Kernbereichen Wissenschaft, Forschung und Kultur einen sehr intensiven Handel, unsere Flotten sind mehr als ausgereizt. Allerdings ist unser Handeln nicht auf Profit ausgelegt, sondern auf Ausgleich und soziale Gerechtigkeit, oft sind wir zudem nur als Zwischenhändler oder Leiter von Entwicklungsprojekten tätig, da ist die Gewinnspanne gering. Wenn Sie das ändern wollen, müssen Sie den Handel entweder anders strukturieren, also die Grundsätze des Handelsmagistrats ändern, oder Sie müssen gut fünzig Prozent unserer Investitionen einstellen und Devisen einlagern, das aber geht momentan nicht, da sich die internationale Währung gerade in großem Stile selbst entwertet. Aktuell haben wir die bizarre Situation, dass uns Staaten, die unter normalen Umständen völlig unterlegen wären, überflügeln, weil sich der intergalaktische Finanzsektor verquer verhält. Je mehr Schulden Sie momentan machen, desto besser stehen Sie da. Wenn Sie dagegen nachhaltig haushalten oder gar sparen, wie das eigentlich nitramische Tradition ist, verlieren sie massiv Geld und Ressourcen. Je länger diese Situation anhält, desto wahrscheinlicher wird aber, dass die Finanzblase irgendwann platzt. Wir handeln hauptsächlich mit immateriellen Gütern und haben kaum Grundbesitz im Ausland, wären also von einem intergalaktischen Finanzkollaps akut betroffen, egal wie wir uns jetzt verhalten. Es läuft aktuell auf ein Nullsummenspiel hinaus.

Anastratin.de: Es gibt zunehmend Stimmen, die fordern, die Handels- und Außenpolitik auf Selbstversorgung umzustellen und sich von der intergalaktischen Entwicklung abzukoppeln.

Prado: Aussteigerträumereien in galaktischen Ausmaßen? Davon halte ich nichts. Nitramier sind Universalisten, keine Isolateure. Zudem würde das auch wirtschaftlich nie und nimmer funktionieren. Wir sind auf den Austausch von Handelsgütern angewiesen. Unser Wohlstand basiert auf Kultur und Wissen, das geht nicht ohne interkulturellen Austausch.

Anastratin.de: Wie wollen Sie dann konkret vorgehen, um die Neu-Nitramische Konföderation wieder aufblühen zu lassen?

Prado: Wir müssen dazu wohl oder übel eine vorsichtige Politik der Rekonsolidierung betreiben. Tatsächlich sind einige Handelsprojekte und Bündnisse obsolet, hier gilt es aber, Spreu und Weizen zu unterscheiden, und dabei nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern auch die Zukunft im Auge zu behalten. Vorrang hat jetzt allerdings, die Ausgaben in Neuinvestitionen zu reduzieren und erst einmal Handelsreserven abzubauen. Wir besitzen von einigen Gütern viel zuviel und verderben uns damit selbst die Nachfrage. Wir müssen das Prinzip der Wertschätzung wieder mehr in den Vordergrund rücken.

Anastratin.de: Man soll also keine Perlen vor die Säue werfen?

Prado: Ein Bibelzitat? Nun ja, Perlen vor die Säue, das kann man so sagen – es bekäme unserer Außenpolitik deutlich besser, wenn wir die „Hungrigen speisen“ würden statt die Satten zu übersättigen. Das haben wir in der Vergangenheit aber wohl mehrfach getan, dann braucht man sich aber auch nicht wundern, wenn einem in Außenpolitik und Handel nur Undank oder Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung begegnet.

Anastratin.de: Wie wollen Sie das in Zeiten einer intergalaktischen Konsuminflation faktisch umsetzen?

Prado: Es ist nicht so, dass die Galaxis überall in Reichtum schwelgen würde, tatsächlich ist die Ungerechtigkeit in den vergangenen Dekaden immer größer geworden. Die einen haben immer mehr und wurden trotzdem immer gieriger, den anderen wird zunehmend genommen, was sie noch haben. Um in biblischen Vergleichen zu bleiben: Um „Licht der Welt“ zu sein, müssen Sie ins Dunkle gehen und sich nicht mit fetten reichen Leuten an die Sonnenstrände legen. Passend übrigens finde ich auch den biblischen Rat, sich „Freunde im Himmel mit dem ungerechten Mammon“ zu machen.

Anastratin.de: Könnten Sie das vielleicht etwas konkreter erklären?

Prado: Wenn wir wirklich fairen Handel und eine Außenpolitik der sozialen Fairness betreiben, werden wir wesentlich mehr und langfristigere Erfolge haben als bisher. Man könnte die Entwicklungshilfe mal wirklich ganz bedürftigen Völkern zukommen lassen statt solchen, die sie nicht zu schätzen wissen. Sie werden sich wundern, wieviel Dankbarkeit Ihnen dann plötzlich entgegenkommt. Etwas mehr echte Multikulturalität wagen! Dazu müssen Sie auf diese Leute aktiv zugehen. Wir erreichen sie mit unseren konventionellen Kommunikationskanälen nämlich nicht. In falscher Rücksicht auf Nachbarstaaten, deren zweifelhafte Lebensideale wir nicht teilen, wurde das in der Vergangenheit unterlassen. Das war aus meiner Sicht ein schwerer Unterlassungsfehler. Aber es ist noch nicht zu spät, das zu ändern, zumal es uns meiner Meinung nach ökonomisch gerade sehr gut geht. Zudem stehen wir außenpolitisch weitaus besser da als vor 24 Jahren, auch wenn das manche anders beurteilen mögen.

Anastratin.de: Die von Ihnen angesprochenen „Rücksichten“ waren einer Friedenspolitik geschuldet, die offene Auseinandersetzungen gemieden und den Ausgleich versucht hat. Müssten Sie nicht immensen  Druck auf gegnerische Kräfte ausüben, wenn Sie offen mit den Nachbarvölkern in Dissenz gehen, auch militärisch?

Prado: Wenn Sie Rassismus und eine Kultur des Egoismus bekämpfen wollen, dürfen Sie sich nicht hinter falschen Rücksichten verschanzen. Aber das haben wir zudem ohnehin nie getan. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass unsere Kräfte stark genug waren, äußerem Druck standzuhalten, nicht mittels militärischer Potenz, sondern weil unsere Diplomaten meist einfach die besseren Argumente hatten. Es mag Völker geben, die werden uns bis zum Ende der Tage verspotten oder leugnen, aber ehrlich gesagt: Man soll Mühlräder, die mit aller Gewalt den Abhang hinunterrollen, nicht aufzuhalten versuchen. Im Zweifelsfall muss man eben lieber zur Seite springen und negativ ambitionierte Kräfte ihrem Schicksal überlassen. Statt militärisch zu konfrontieren schlage ich vor, unsere Mittel konkreter denen zukommen zu lassen, die sie wirklich brauchen können. Wem wir unsere Hilfe zukommen lassen und wem nicht, entscheiden wir letztlich doch selbst!

Anastratin.de: War nicht genau das die Politik ihrer Vorgänger?

Prado: Meine Vorgänger haben sich darauf beschränkt, auszuweichen und standzuhalten und teilweise haben Sie sich diversen Mühlrädern in den Weg gestellt, um Schlimmeres zu verhindern. Das war teilweise sogar sehr mutig, aber es hat uns nicht immer gut getan. Dabei haben wir auch falsche Prioritäten gesetzt, wir haben es unterlassen, wirklich Bedürftigen „Licht der Welt“ zu sein. Wir haben nicht mehr geleuchtet, hatten keine Ausstrahlung mehr. Es kam nichts wirklich Neues zustande in den vergangenen 24 Jahren. Stattdessen haben wir unser Licht unter einen Scheffel gestellt und uns vor unseren feindseligen Nachbarn versteckt.

Anastratin.de: Der Flottenpräfekt von Saint Andrea, Ian Delessian, fordert den Aufbau einer weiteren Angriffsflotte. Er meint, nur so könne die Konföderation gegen den Sturm, der sich außenpolitisch zusammenbraue, standhalten.

Prado: Ich stimme Delessian dahingehend zu, dass uns der Verlust der mit uns verbündeten hajoidischen und emolanischen Flotten außenpolitisch in große Bedrängnis gebracht hat. Das durch massive Aufrüstung zu kompensieren halte ich aber für den falschen Ansatz. Die Kosten wären immens und bei der rasanten technischen Entwicklung wäre das Material binnen Zehnjahresfrist schon wieder völlig veraltet, das können Sie an der 11. und 12. Raumflotte gut sehen – beide wurden erst vor fünf Jahren erneuert und sind schon wieder hinfällig. Wir stemmen bereits vier Flotten und eine Unzahl orbitaler Verteidigungsanlagen, wir brauchen jetzt gerade nicht noch weiteres Militärgerät. Klüger wäre es, die finanziellen und technischen Voraussetzungen zu schaffen, um ein solches Vorhaben, wenn denn nötig, zu einem späteren Zeitpunkt durchführen zu können. Eine neue Langzeitstrategie für Außenpolitik und Handel hat für mich jetzt Vorfahrt. Für den Moment brauchen wir eher gute Diplomaten und die Gabe, den richtigen Moment zu nutzen. Darauf wird es ankommen.

Anastratin.de: Haben Sie denn das Personal, dass Sie sich wünschen?

Prado: Ich bin mit der Arbeit meines Kabinetts sehr zufrieden. Sicher, den Verlust unserer Vorzeigediplomaten Keto Celladin und Jitro Messalinas haben wir außenpolitisch noch immer nicht verkraftet, sie sind wohl kaum zu ersetzen, aber Legat Cassinor Tirouyel leistet als Außenminister sehr gute Dienste, mit Una Niva haben wir geradezu eine Idealbesetzung als Kulturministerin und Velis Janoun und Diomedes Pedran sind kompetente Justiz- und Gesundheitsminister. Freilich gebe ich zu, dass ich gerne doppelt soviel Staatssekretäre und Diplomaten hätte, denn da herrscht doch immer noch großer Personalmangel. Das ist für mich übrigens ein weiteres Argument gegen Aufrüstung: Was nützt Ihnen denn mehr Gerät, wenn niemand da ist, der es bedienen kann?

Anastratin.de: Ist das nicht auch dem massiven Bevölkerungsschwund geschuldet?

Prado: (lacht) Jaja, unsere Bevölkerung schrumpft, das stimmt. Nun ist der Schwund aber aktuell nicht so massiv, wie oft beschworen. Die vielzitierte „Verödung Nindas“ beispielsweise ist gerade eben nicht auf einen Rückgang der nitramischen Bevölkerungsteile zurückzuführen – tatsächlich ist dort die nitramische Bevölkerung sogar um 15% gewachsen, und dabei habe ich die extreme exilemolanische Zwergfeenvermehrung von Kournia noch gar nicht miteinberechnet. Das sind zugegeben alles „kleine Völker“. Die Bevölkerung der Tyrillianer und Jolandinelben geht tatsächlich zurück. Meiner Meinung nach können wir den Rückgang noch gut zweihundert Jahre mit Automatisierung kontern. Und vielleicht ergibt es sich ja bis dahin, dass es wieder aufwärts geht. Heißt es nicht, Gott könne aus Steinen Kinder Abrahams machen – dann ist ja auch für Nitramien noch nicht alles verloren. Aber das sind höhere Weihen. Ich für meinen Teil werde mich damit zufrieden geben, dass die Finanz- und Handelsbilanz wieder stimmt. Das ist das, was ich als Generalsekretärin und Finanzministerin tun kann.

Anastratin.de: Frau Generalsekretärin, wir danken für das Gespräch.

Das Gespräch führte Nils Kawomba.

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Nils Kawomba, ehemals Chefredakteur der NNZ (Neue Nitramische Zeitung), ist unser nitramischer Korrespondent in Ventadorn (Ninda).