„Wenn man ein- oder zweimal eine gute Ernte erlebt, ist man schon sehr glücklich!“

Wir schreiben das Jahr 532 a. C. Der Sommer hat in Südninda bereits seinen Höhepunkt überschritten. Wir haben Vizekönigin Luisa zu ihrer Meinung befragt.

Der Science-Tower in Südninda (Foto: Rosa Dudelspru)

Anastratin.de: Frau Amiratu, Sie haben einige ereignisreiche Monate hinter sich: Als kommissarische Regentin von Ventadorn haben Sie dort das Polizei-, Post- und Nahverkehrswesen reformiert. Auch in Südninda hat sich wieder einiges getan – Sie haben inzwischen einen Großteil der Infrastruktur repariert. Was planen Sie als nächstes?

Luisa Amiratu: Haha, das verrate ich noch nicht! (lacht) Nein, ganz im Ernst, wir müssen jetzt erst einmal warten, bis sich die Staatsfinanzen wieder etwas aufgefüllt haben.

Anastratin.de: Dabei wird Ihnen sicher die neue Polizei helfen, die inzwischen regelmäßig überall Blitzerkontrollen durchführt. Wie gut, dass Sie zuerst über Ihren Automobilclub dafür gesorgt haben, dass es genug schnelle Sportwagen in Südninda gibt.

Luisa Amiratu: Ach, das ist bestimmt nur so ein Zufall, aber es ist wirklich sehr praktisch, die zusätzlichen Einnahmen können wir natürlich gut gebrauchen. Unsere Wirtschaft läuft nämlich nicht so gut wie erhofft. Dieses Jahr haben wir keine echte Obsternte zu erwarten, die kaiserlichen Krondomänen haben kaum etwas hervorgebracht. Allerdings war es im letzten Sommer schon etwas besonderes – ein außergewöhnliches Ereignis. Wenn man ein- oder zweimal eine gute Ernte erlebt, ist man schon sehr glücklich in Südninda. Diesmal wird die Ernte leider nur mau. Andererseits sind wir unsere Produkte auch kaum los geworden im Ausland.

Anastratin.de: Allerdings gab es viel Lob und Ehre für Ihre Produkte.

Luisa Amiratu: Das hilft uns leider überhaupt nicht weiter, solange weiterhin niemand mit uns handelt. So schön unsere vielen kleinen Märkte sind, wir haben kaum auswärtige Besucher und wenn, wollen sie unsere Preise nicht zahlen. Dabei arbeiten wir kaum mit Gewinn. Wahrscheinlich wäre es eh am vernünftigsten, wir würden doch ganz auf Selbstversorgung umstellen. Im Binnenhandel klappt es recht gut. Unsere schönen Heidelbeeren haben wir fast alle hier unter die Leute gebracht. Von den superleckeren Rotäpfeln hatten wir leider nur ganz wenige, die haben wir heute alle feierlich aufgespeist. Hat superlecker geschmeckt!

Anastratin.de: Immerhin kam die letzte Expedition aus den altjestrischen Erbkolonien mit guten Nachrichten zurück: Die Wälder von Colonia Secunda sehen wesentlich besser aus, als befürchtet.

Luisa Amiratu: Das war wahrlich schon eine gute Nachricht. Nun müssen wir wenigstens da nicht auch noch viel Geld reinstecken, so wie in unsere Kolonien hier. Es scheint, die altjestrische Kaiserin war sehr vorausschauend, als sie die Baumarten für die Bepflanzung auswählte vor fünfhundert Jahren. Der Bestand ist zwar nicht sehr groß, aber soweit wir es beurteilen können, gesund.

Anastratin.de: Sie haben Ihre Halbschwester Telia Atanavi als Expeditionsleiterin dorthin geschickt? Warum sie und keinen Flottenkapitän?

Luisa Amiratu: Telia und ihr Lebensgefährte Vladimir sind Experten, was Bäume angeht, sie stammen aus den Altlanden von Emolas, dort sind es zwar Sumpfwälder, aber sie ist trotzdem ein Pflanzenliebhaber. Schließlich ist sie ja eine Waldfee. Zudem hatte sie lange Zeit nach wirklich großen Wäldern. Das kam mir sehr gelegen, denn ich habe hier viel zu tun und riesige Urwälder sind nicht so mein Fall. Ich habe hier schon mit dem wilde wuchernden Wumbelwald genug zu tun. Flottenadmiräle taugen übrigens nicht als Baumexperten. Mit unseren klapprigen Mittelstreckenfrachtern ist es schon ein großes Ding, wenn Sie überhaupt bis in diese entlegene Kolonie vordringen. Deshalb haben wir die hajoidische Flotte um Hilfe gebeten.

Anastratin.de: Gestern haben Sie mit dem Wissenschaftsturm an der Grenze zu Kournia ein neues Monument eingeweiht. Wozu ein Observatorium?

Luisa Amiratu: Der Wissenschaftsturm ist nicht nur ein Observatorium, sondern ein Forschungslabor, Zeichen für unser neues, aufgeklärtes Jahrhundert. Er soll zeigen, dass die dunklen Zeiten auf Ninda vorüber sind und eine neue Epoche der Aufklärung und Wissenschaft symbolisieren. Sicher, er war sehr teuer, aber schließlich können wir uns das inzwischen auch wieder leisten. Das finstere Jahrhundert ist hoffentlich passé. Und ja, wir haben davon keine direkten finanziellen Vorteile – aber echte Forschung ist eben auch frei und ergebnisoffen. Ich bin sicher, dass unsere Wissenschaftler dort einige Entdeckungen machen können. Bislang haben sich unsere Gelehrten in Ninda ja eher mit Geschichtswissenschaft oder irgendwelchen dubiosen Prophezeiungen beschäftigt. Dies soll nun ein Zentrum konstruktiver Entdeckungen werden.

Anastratin.de: Wäre der Turm in der Metropole Ventadorn nicht besser aufgehoben gewesen?

Luisa Amiratu: Ventadorn hat andere Probleme zu bewältigen. Hier müssen wir erst mal die Infrastruktur wieder erneuern. Immerhin gibt es wieder eine kleine Post und mit den neuen Stadtbussen kommt man jetzt auch wieder problemlos in die Vororte.

Anastratin.de: Warum haben Sie nicht einfach das Straßenbahnsystem ausgebaut?

Luisa Amiratu: Das hatte vor allem folgende Gründe – die Schienen zu legen wäre viel teurer gekommen, die ganzen Baustellen hätten das Verkehrschaos komplettiert und außerdem wissen Sie, dass ich es echt hasse, lange zu warten. Die Busverbindung war wesentlich schneller eingerichtet. Außerdem sind unsere neuen Stadtbusse barrierefrei – was man so von der existierenden Straßenbahn nicht behaupten kann. Wenn Sie ein öffentliches Verkehrswesen aufbauen wollen, das diesen Namen verdient, dann müssen Sie sich zuerst an denen orientieren, die darauf angewiesen sind. Das ging am einfachsten mit Bussen, fand ich. Zugegeben, das mag an meinen emolasischen Wurzeln liegen, aber ein neues Schienennetz hätte ich derzeit eh nicht legen können. Es wäre schon schön, wenn das vorhandene besser funktionieren würde. Nun gut, wir arbeiten wenigstens dran, aber das wird nicht mehr vor dem nächsten Winter klappen.

Anastratin.de: Sie gehen schon jetzt als die größte Bauherrin Nindas in die nitramische Geschichte ein. Was wollen Sie als nächstes bauen?

Luisa Amiratu: Ventadorn braucht ganz dringend eine Kommunalpoststation, ein neues Polizeihauptquartier, eine Feuerwehr und natürlich wäre auch ein Redaktionshaus sehr schön. Aber das wird warten müssen, bis wir passende Konstruktionspläne und die nötigen Ressourcen haben. In Südninda bräuchten wir ein paar weitere Lagerhallen für die Nationalgarde und die kaiserlichen Krondomänen. Wir werden da auch nicht umhin kommen, weitere Provinzen neu aufzuforsten, das wird viele Kräfte binden. Wir haben auch in dieser Saison sehr viele neue Bäume gepflanzt: Feigenbäume und Spierlinge vor allem, aber auch anderes. Ein paar mehr Obstbäume wären noch schön, wir müssen uns aber noch überlegen, wo wir die unterbringen sollen.

Anastratin.de: Unter Ihrer Regierung ist die Bevölkerung von Ninda stark gewachsen. Dazu tragen nicht nur die vielen Flüchtlinge aus den Altlanden bei, die inzwischen eigene Autonomiegebiete erhalten haben. Auch viele andere Einwanderer interessieren sich für eine neue Bleibe in Ninda. Wie lange wollen Sie die Türen noch offen halten?

Luisa Amiratu: Oh, wir haben durchaus noch Kapazitäten, aber natürlich gibt es auch Grenzen des Wachstums und eine der Grenzen sind die nahenden Winterjahre. Momentan haben wir einerseits nicht die Kapazitäten für gesteigerte landwirtschaftliche Erträge, andererseits befindet sich die Konföderation immer noch in einer Wirtschaftskrise, sodass wir nur begrenzt zukaufen können. Daher denke ich, dass die Bevölkerung von Ninda nicht dauerhaft weiterwachsen wird. Das wird sich einpegeln, manchmal verlassen uns ja auch Bürger, um anderorts neue Kolonien zu gründen, oder weil sie beruflich umziehen müssen. Ventadorns Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen Dekaden sukzessive verringert. Umgekehrt verzeichnen Kournia und Azurea rechnerisch große Zuwächse, aber dort lebten früher ja auch kaum Nitramier.

Anastratin.de: Westland kann aber einen sehr deutlichen Einwohnerzuwachs verzeichnen.

Luisa Amiratu: Ja, das ist schon komisch oder? Da errichtet man einfach nur neues Stadtviertel, und auf einmal wohnen dort viel mehr Leute als vorher, tsss, tsss… (blickt spöttisch)

Anastratin.de: Auch Azurea wächst. Der Neugründung Juneau in Azurea haben Sie erst vor einer Woche weitgehende Stadtrechte zugeteilt und einen neuen Bürgermeister zugewiesen.

Luisa Amiratu: Ja, Leonhard Phuitrag. Das ist ein sehr begabter und guter Fabulaner, ich würde ihm sogar zutrauen, dass er künftig in der Landespolitik noch eine größere Rolle spielt.

Anastratin.de: Er hat allerdings erst seit ein paar Wochen die nitramische Staatsbürgerschaft.

Luisa Amiratu: Ja, aber er hat ein gutes, verständiges Herz und ist sehr lernbegierig! Er hat sich in kürzester Zeit die nötigen Erfahrungen angeeignet und er hat sich von Anfang an gut mit den Azureanern verstanden. Quasi ein Glücktreffer ist er! Das ist doch meine Aufgabe als Vizekönigin: Die richtigen Leute für die Aufgaben zu finden. Und ich finde, er ist der richtige Löwe!

Anastratin.de: Sind Sie mit den diesjährigen Feierlichkeiten zum Sternschnuppenfest zufrieden?

Luisa Amiratu: Die Metereologen haben sich zum Glück geirrt, die Nächte waren sternenklar und wir haben viele schöne Sternschnuppen sehen können. Der Markt in Ventadorn lief zuerst schleppend, aber dann haben wir dort doch noch einiges verkaufen können. Und unser Feuerquittengelee ist inzwischen alle. Insofern bin ich zufrieden. Nur das Apfelfest wird dieses Jahr etwas mau ausfallen, aber hey: Es kann nicht alles spitze laufen im Leben. Wir müssen mit dem zufrieden sein, was wir haben.

Anastratin.de: Was wünschen Sie sich für die nächsten Monate?

Luisa Amiratu: Natürlich alles Gute, was wir kriegen können. Und noch ein paar schöne Momente vor dem nächsten Winter. Die Hitzewellen sind hoffentlich vorbei, da mögen wir den Spätsommer und den Herbst hoffentlich genießen. Mal schauen.

Anastratin.de: Frau Vizekönigin, wir danken für das Gespräche.

Luisa Amiratu: Keine Ursache, gern geschehen – und bis zum nächsten Mal!

Das Interview führte Nils Kawomba.

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Nils Kawomba, ehemals Chefredakteur der NNZ (Neue Nitramische Zeitung), ist unser nitramischer Korrespondent in Ventadorn (Ninda).