Vizekönigin Luisa, revisited

Vizekönigin Luisa Amiratu in ihrem Büro in Schloss Milony Island (Foto: Rosa Dudelspru)
Vizekönigin Luisa Amiratu in ihrem Büro in Schloss Milony Island (Foto: Rosa Dudelspru)

Wir schreiben das Jahr 516 a. C. Seit unserem letzten Interview mit Vizekönigin Luisa Amiratu sind zehn Jahre vergangen. Wir haben sie in Nova Valentia besucht und erneut befragt.

Anastratin.de: Frau Amiratu, wie geht es Ihnen inzwischen?

Luisa Amiratu: Na, was soll man da sagen, frau lebt so gut es geht!

Anastratin.de: Und wie gut lebt es sich?

Luisa Amiratu: Ach, ab einem gewissen Alter sollte man nicht mehr zuviel erwarten. Früher sagte man mir immer, frau wird mit dem Alter bescheidener, aber glauben Sie mir: Das stimmt nicht immer. Jedenfalls in meinem Leben stimmt es nicht. Ich habe vielmehr das Gefühl, die Zeit wird einem immer knapper, und es gibt doch noch soviel zu tun!

Anastratin.de: Sie führten ein abenteuerliches Leben inzwischen – besonders über ihre kriminologische Abenteuerreise in Tyndalis hört man so einiges munkeln.

Luisa Amiratu: Ah ja, der Fall des Hauses Aeryn – ja, es war der reinste Krimi. Ein echtes Krimi-Leben! Aber wir haben diesen merkwürdigen Fall gelöst, also, was man davon wirklich noch lösen konnte. Mehr oder weniger lösten sich da einige Dinge von selbst auf, hihi, mit etwas Mithilfe meinerseits.

Anastratin.de: Wird man über Ihr Abenteuer auch mal etwas lesen können?

Luisa Amiratu: Ich glaube nicht. Wissen Sie, schon meine letzten Geschichten wurden nicht viel gelesen, und es ist die Mühe wirklich nicht wert, Bücher zu schreiben, die dann ohnehin niemand liest. Das ist vielleicht schade, aber mir selbst muss ich meine Erlebnisse wirklich nicht erzählen, ich war ja dabei.

Anastratin.de: Sie konnten sich in den Jahren danach bestimmt auch nicht über Mangel an Arbeit beschweren…

Luisa Amiratu: Oh, leider nein, sie waren katastrophal. Wir waren da nur am Retten – retten, was noch zu retten ging! Zwischenzeitlich ist etwas Gras über die Gräber gewachsen, aber katastrophal bleibt es trotzdem. Wir räumen immer noch den ruinösen Folgen hinterher. Und ökonomisch geht es uns nicht besser als in den Jahren davor. Allein was wir schon wieder in die Landwirtschaft investiert haben, Unsummen! Und inzwischen müssen wir es mit gekauftem Trinkwasser bewässern, weil unsere Brunnen alle leer sind wegen dieser wirklich endlosen Dürre!

Anastratin.de: Vielleicht ist ja doch etwas dran an dem Fluch von Ninda?

Luisa Amiratu: Gut, ich gebe zu, das mit dieser Riesenwespeninvasion in der neu eroberten Provinz Speikrya kam mir wirklich nicht mehr ganz geheuer vor. Aber ich bin nicht geneigt, mich einfach irgendwelchen Flüchen geschlagen zu geben. Solange ich hier Vizekönigin bin, und ich habe nicht vor, das in nächster Zeit zu ändern, werde ich weiter mit ganzer Kraft dafür kämpfen, dass es den Leuten hier besser geht und Ninda ein schönerer Ort wird. Notfalls werde ich dazu auch vizekönigliche Gewalt einsetzen, falls das nötig ist. Allerdings heiße ich es gut, dass sich der Kaiser inzwischen um Alternativen bemüht.

Anastratin.de: Sie meinen damit Projekt Eden.

Luisa Amiratu: Genau. Es ist manchmal notwendig, zweigleisig zu fahren. Früher habe ich das ja nicht verstanden, aber inzwischen habe ich mich mit dem nitramischen Prinzip, ständig Alternativpläne mitzudenken, gewöhnt. Irgendwie ist es beruhigend, wenn man weiß, es gibt zur Not auch noch einen Plan B, auch wenn man selbst da nicht mitmachen kann, weil man mit Plan A völlig ausgelastet ist.

Anastratin.de: Wie sieht denn Plan A in nächster Zeit aus?

Luisa Amiratu: Wir werden hier in Kürze mit der Errichtung der Pforte von Nyktis beginnen, das ist eine neue Grenzfestung, um Aurynas Dras weiter abzusichern. Sie wird ziemlich groß und eindrucksvoll werden. Der Wall von Nova Valentia ist abgeschlossen und wenn uns wieder Wasser zur Verfügung steht, werden wir die äußeren Plantagen von Valentia in Betrieb nehmen. Momentan läuft wegen dem Wassermangel nur der innere Kreis unserer landwirtschaftlichen Anlagen, also die Pflanzschulen und die Arzneikräuterproduktion. Außerdem arbeiten meine Leute derzeit noch an einem Zweiten Wall jenseits des Baronats Juchisee. In Araruna wollen wir eine neue große Mühle in Betrieb nehmen, falls wir die Gelder dafür zusammenkriegen. Derzeit sieht es aber nicht so aus. Wir wollen nämlich selbstverständlich die Konföderation bei dem Aufbau der neuen Flotte unterstützen, daher werde ich auch erstmals in der neueren Geschichte eine allgemeine Einkommenssteuer und eine Gewerbesteuer einführen.

Anastration.de: Steuern in Nitramien? Glauben Sie nicht, dass Sie damit die Bevölkerung gegen sich aufbringen?

Luisa Amiratu: Die Bevölkerung hat sich bereits an den deutlich gestiegenen Lebensstandard gewöhnt, den der große Fairhandels-Kontrakt mit den Völkern des Foriensis-Systems mit sich gebracht hat. So lange hier nichts richtig wächst und wir nahezu alles importieren müssen, sind wir auf den Handel angewiesen, das weiß jeder. Wir können allerdings die Verträge nicht dauerhaft einhalten, wenn wir keine funktionierende Handelsflotte haben. Ich brauche ja nicht darauf hinzuweisen, dass der aktuelle Zustand der Fernhandelsfrachter ein schlechter Witz ist. Ein ziemlich schlechter Witz: Diese Dinger sind ja ständig nur außer Betrieb! Wir brauchen da zügig funktionierenden Ersatz. Und ohne Steuereinnahmen können wir das nicht finanzieren. Außerdem nötigt das einen Teil der Bevölkerung dazu, etwas produktiver zu werden. So ein bedingungsloses Grundeinkommen war ja schon eine wirklich schöne Sache, aber genügend Devisen erwirtschaften sie so nicht, wenn der Großteil der Bevölkerung ständig Urlaub macht oder sein Geld auf der Bank bunkert.

Anastratin.de: Wird das denn nennenswerte Geldmengen erwirtschaften?

Luisa Amiratu: Die Vereinigten Provinzen werden laut Berechnungen meiner Finanzexperten mit der anvisierten Steuerquote monatlich bis zu 500.000 Denare erwirtschaften, hauptsächlich über die neue Gewerbesteuer und die erhöhten Steuersätze für den Landadel. Ventadorn schafft vielleicht auch nochmal soviel, dort leben ja viele Geschäftsleute und Kulturbetriebe. Allerdings sollte klar sein, dass das alles bei weitem nicht reicht für eine neue Handels- und Raumflotte. Ein neuer Mittelstreckenfrachter kostet schätzungsweise 35.000.000 Denare in harten intergalaktischen Credits, wenn wir stattdessen einen Langstreckenfrachter anschaffen, was ich persönlich sehr empfehlen würde, kostet das wohl mindestens das Vierfache und hinzu kommen deutlich höhere Kosten wegen des Treibstoffs. Aber meiner Meinung nach werden wir mit Mittelstreckenfrachtern auf Dauer nicht glücklich. Die sind zu langsam, zu klein und zu begrenzt in ihrer Reichweite. Gut, ich stamme aus Emolas, da macht man tradionell alles mit großen Raumschiffen, aber Langstreckenfrachter könnten sich auch in Nitramien als notwendig erweisen und militärisch würde es unsere Situation hier auch deutlich verbessern. Ich gebe aber zu, dass wir in Ninda das nicht finanzieren können. Letztlich ist aber auch Projekt Eden nicht durchführbar ohne Langstreckenfrachter. Das ist Sache der Konföderation und der Bundeskasse.

Anastratin.de: Könnten Sie nicht auch mit den kaiserlichen Domänen Devisen erwirtschaften?

Luisa Amiratu: So, wie das die letzten hundert Jahre lief, glaubt hier niemand mehr daran, dass die Plantagen auf Ninda irgendwann viel Geld ausspucken. Erst mal fehlen uns Abnehmer für unsere Waren, wenn sie überhaupt mal fruchtbar heranreifen würden, was sie bislang selten taten. Hätten wir mal große Ernten, so wie zuletzt vor Jahrhunderten, könnten wir sie nicht zum Kunden transportieren und die wenigen Handelspartner, die wir noch haben, würden uns dafür sowieso nicht mit Devisen bezahlen, falls wir überhaupt Abnehmer finden, was ich doch sehr bezweifle. Am besten fahren wir noch mit den Quitten und dem anderen Obst, aber die letzten 24 Jahre folgte eine Missernte auf die andere. Nein, meiner Ansicht nach dienen die kaiserlichen Domänen hier hauptsächlich der Landschaftspflege: Wir wirtschaften ökologisch und erhalten hier so die Diversität unserer schönen Flora und Fauna. Angestrebt ist: Wir betreiben in sehr engen Grenzen wieder Selbstversorgung. Das ist auch eine Kulturleistung. Aber profitabel im Sinne der Devisenbeschaffung sind unsere Betriebe hier sicher nicht und werden es nie sein. Ich bin immer froh, wenn wir keinen zu großen Verlust einfahren.

Anastratin.de: Das stimmt irgendwie deprimierend.

Luisa Amiratu: Ethische Korrektheit, auch Umweltbewusstsein, hat seinen Preis. Schönheit hat ihren Preis. Auf beides legen wir hier großen Wert. Ökonomie kommt in Nitramien erst an dritter Stelle. Grandiose Gewinne werden anderorts eingefahren, teils mit dämonischen Kosten an Land und Leben: Wir wollen hier bestimmt keine Agrarindustrie wie im Ausland, wir backen da dann lieber nur ganz kleine Brötchen. Aber die sind dann schön und mit reinem Gewissen erstellt und genießbar! Und inzwischen hat sich auch herumgesprochen, dass es vor allem Nitramien ist, das in Ninda investiert und schon die letzten Jahrhunderte investiert hat. Seit dem Untergang der Ursulen sind wir offizieller Mitregent und die zweitgrößte Macht auf diesem Planeten.

Anastratin.de: Die Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte haben die politischen Verhältnisse grundlegend verändert. Hat sich dadurch auch Ihr Einfluss als Vizekönigin vergrößert?

Luisa Amiratu: Mein Mandat leitet sich bekanntermaßen vom Kaiser ab, dessen Stellvertreterin ich bin. Der Kaiser ist nun Tetrarch von Ninda, nicht mehr nur Ethnarch, ihm gehört nun tatsächlich auch das Land, auf dem wir wohnen, daher ist sein Ansehen im direkten Ausland gestiegen, außer bei den Brynn, die sind immer problematisch und werden es immer bleiben. Als Vizekönigin vor Ort hat sich für mich aber nicht viel geändert. Tatsächlich regiert es sich nun aber weniger instabil als zuvor. Trotzdem wäre mir mit einer größeren Nationalgarde wohler zumute. Wir bauen diese Grenzfestungen ja nicht umsonst. Die Gefahr von Invasionen ist noch nicht gebannt, sie wären nun allerdings noch deutlich illegaler als zuvor, als wir unser eigenes Land quasi nur als Lehen bewirtschaftet haben. Ich glaube aber nicht, dass dies außer nitramischen Juristen irgendjemand interessieren würde, wenn es zu Konflikten käme, besonders nicht die Brynn. Und auch darum hätte ich gerne schlagkräftige Langstreckenraumkreuzer auf unserer Seite. Und eine bessere Flugabwehr.

Anastratin.de: Das klingt, als seien Sie auf Krieg aus.

Luisa Amiratu: Ich bin es lediglich leid, dass mich angsterfüllte Bürger regelmäßig nachts aus dem Bett klingeln und ich Ihnen nicht wirklich Sicherheit bieten kann. Glauben Sie mir: Ich träume von einem friedlichen Sonnenblumenland mit schnuckeligen Einhörnern und Regenbogen allüberall. Die Einhörner haben wir übrigens schon hier angesiedelt und Sonnenblumen lasse ich demnächst noch pflanzen – fehlen also nur noch die Regenbogen und der Frieden. Ich bin auch nicht der Meinung meiner Amtskollegin aus Ventadorn, Una Niva, die in ihrem letzten Interview „Frieden“ als Abwesenheit von aktiver Gewalt definiert hat. Das ist für mich kein Frieden, das ist kalter Krieg! Frieden ist für mich, wenn man unter Freunden lebt und daher nachts sorglos schlafen kann. Sei’s drum – anderes Thema!

Anastratin.de: Der Nationalfeiertag steht vor der Tür und das Beltane-Fest. Haben Sie größere Feierlichkeiten geplant?

Luisa Amiratu: Wir haben das übliche Festprogramm geplant und alle Bürger hier kriegen zwei Tage frei. Nicht mehr, und nicht weniger. Im Ausland arbeiten die Leute ja wahrscheinlich wie normal. Wir erwarten auch keine Staatsgäste, außer eine Delegation der Hajoiden. Und das Budget für Festlichkeiten habe ich einschränken müssen. Wir haben derzeit ja nicht mal genug Wasser. Hoffentlich regnet es bald mal wieder! Das wäre ein wirklich schönes Geschenk zum Nationalfeiertag!

Anastratin.de: Dann wünschen wir Ihnen den nötigen Regen und fruchtbare Unternehmungen für die nächste Zeit. Danke für das Gespräch.

Luisa Amiratu: Vielen lieben Dank. Ich wünsche Ihnen auch Alles Gute! Bis zum nächsten Interview!

Das Gespräch führte Nils Kawomba.

Über Nils Kawomba 173 Artikel
Nils Kawomba, ehemals Chefredakteur der NNZ (Neue Nitramische Zeitung), ist unser nitramischer Korrespondent in Ventadorn (Ninda).