
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben“ – so lautet eine berühmte Zeile aus einem Gedicht von Hermann Hesse. Tatsächlich empfinde ich Anfänge oft als zauberhaft, während mich Enden regelmäßig enttäuschen.
Ich bin eine adventliche Person, die von Hoffnung und Träumen lebt – und in den Anfängen sind diese oft noch sehr lebendig. Jedes Jahr erlebe ich als Lehrkraft den Zauber der Anfänge neu, was einem viel Kraft für die ersten Wochen eines Schuljahres gibt, die jedes Jahr aufs Neue eigentlich sehr kraftraubend und anstrengend sind ob der vielen Konferenzen und Termine. Zudem setzt mir das Schwinden des Sommers zu und das herbstliche Dunkel ist nicht so mein Ding, da meine Kraft an den Sonnenstand gebunden ist, was meine Allergien allerdings meist schnell negieren, weshalb ich vom Frühsommer nie viel habe. Bleibt mir meist nur der lichte August, der im September nur noch Erinnerung ist. Dennoch: Das erwartungsfrohe Leuchten in den Augen meiner Schützlinge und auch mancher Lehrkräfte geben durchaus Kraft und haben einen motivierenden Reiz, die vielen Herausforderungen doch recht konstruktiv entgegenzunehmen. Tatsächlich: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt, und der uns hilft zu leben.
Überraschenderweise bin ich trotzdem kein Morgenmensch, vermutlich auch, weil ich von Sonnenuntergängen noch nie viel hatte, weil ich sie niemals in Ruhe genießen konnte, im Gegensatz zu Sonnenuntergängen, die oft nur der Beginn wundervoller Sternennächte waren. Beginn und Anfang sind kein chronologischer Moment, sondern ein erfüllter Augenblick im Sinne des Eukairos, wo Zeit und Erfüllung zusammenfallen. So feiere ich in Anfängen den Hauch des Transzendenten, weil Hoffnung für mich eine Form des Gebets ist. Allerdings genieße ich auch sonst die Offenheit, die Anfängen innewohnt, beispielsweise auch bei Geschichten in Büchern, Filmen oder Serien, der Neustart in einer Computerspielewelt, während mich das Fortschreiten meist ernüchtert, weil es oft in Stereotypen und Formalismen versandet. Nicht selten endeten hoffnungsvolle Anfänge wie eine Reise in die Wüste.
Im Rückblick betrachtet habe ich deshalb die Anfänge in meinem Leben stets sehr viel mehr genossen, sowohl bei Beziehungen, als auch bei meinen vielen kreativen Projekten. Während ich letztere meist erfolgreich abgeschlossen habe dank perfektionistischer Sturheit, zwar oft ohne Ernte, aber vielfach mit Genugtuung, so haben mich die Beziehungen in meinem Leben regelmäßig enttäuscht, weshalb ich mich aus der Gesellschaft schon vor Jahren eigentlich eher zurückgezogen habe in ein innerlich erfülltes Leben stiller Hoffnung, wo nur wichtige Menschen noch in meinem Leben Platz finden. Das verhindert nicht, dass ich in meinen gesellschaftlichen Aufgaben große Motivation einbringe, was von meinen Schülern regelmäßig als Optimismus missdeutet wird, doch es führt dazu, dass ich über mein professionelles berufliches Wirken hinaus kaum noch Beziehungen zu Menschen suche, weil der energetische Aufwand viel zu hoch ist und die Entwicklungen oft zu frustrierend waren – und wenn es welche in meinem Leben gibt, so sind sie kreativ-produktiv, philosophisch oder spirituell ausgelegt. Nur bei letzterem Feld bin ich noch unzufrieden, weil ich noch keine Mitmenschen gefunden habe, wo ich eine intellektuell erfüllende spirituelle Heimat gefunden hätte – doch genieße ich auch hier tatsächlich noch oft die Zauber der Anfänge, wenn neue Formen von Spiritualität erprobt werden. Neben dem Großveranstaltungskatholizismus, dem ich sehr kritisch gegenüberstehe, bin ich über die Gründung von Gebetskreisen am Hochrhein sehr erfreut.
Meist genieße ich aber auch hier die Verinnerlichung in Form von kleinen Radausflügen zu Kirchen und Kapellen oder sehr spontanen Werktagsgottesdienstbesuchen, die ich meist für mich allein unternehme. So gewinne ich mehr Kraft und Erfüllung als bei Massenversammlungen, die ich als sehr kräftezehrend erlebe.
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