Über das Beherrschen der Wörter

Tief sitzt die Angst der Schönen und der Reichen, ihre Besitztümer zu verlieren, so wie es jedem Menschen zuwider ist, seine eigenen Errungenschaften einzubüßen. Und doch bleibt uns in dieser Welt nichts anderes übrig, denn alles wandelt sich und jeder Schatz, mag er auch noch so kostbar angehäuft sein, zerfällt, oder auch man selbst. Manche meinen, mit Macht dagegen zu halten, könnte etwas helfen. Diese dummen Ringbesitzer der Gegenwart! O weh…

Macht kann ganz unterschiedlich in Erscheinung treten, obwohl sie in ihrer Substanz immer die gleiche Kraft ist. Metaphorisch kann man sie als goldenen Ehering darstellen, wie es Tolkien einst getan hat, oder auch viel profaner, als innere Verführung. Jedenfalls ist dieser Kraft zu eigen, nach außen hin schöpferisch zu wirken, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Besonders augenfällig wird das, wenn sich echte Schöpferkraft gegen bloße Macht stellt – beispielsweise im Bereich der Sprache. Die Macht ist dann meist oben, zerschmettert, ohne wirklich je siegen zu können. Schöpferkraft jedoch entsteht gerade daraus immer wieder neu.

Es gibt Kräfte, die neues Schaffen und es gibt Kräfte, die auf Machterhalt aus sind. Der Poststrukturalismus unterscheidet hier nicht fein genug, weshalb Michel Foucault oder auch noch Pierre Bourdieu keinen größeren Unterschied machen zwischen Diskurserschaffung und -beherrschung.

„Symbolische Macht ist die Macht, Dinge mit Wörtern zu schaffen.“ – Pierre Bourdieu (1930-2002), Sozialer Raum und symbolische Macht, 1992

Nun ist es aber schon ein Unterschied, ob Sachverhalte fixiert oder wirklich erschaffen werden. Freilich, für die Massenmedien mag dies oft keinen Unterschied machen, vor allem, wenn sie nur bereits vorhandenes thematisieren und dabei gar bewusst oder unbewusst politisieren. Dennoch denke ich schon, dass man den künstlerischen Subjekten, die es auch im Feld moderner Medien gibt, großes Unrecht antut, wenn man sie annuliert und zu reinen Objekten ihres eigenen Diskurses degradiert.

Wo der Unterschied genau liegt zwischen sprachlicher Schöpferkraft und diskursiver Macht, mag manchmal schwer zu klären sein und doch gibt es Fälle, wo es ganz augenscheinlich wird, dass hier zwei verschiedene Kräfte am Wirken sind. Ein gutes Beispiel wäre das Markenrecht. Wortmarken, so wie sie heute manchmal angewendet werden, sind die juristische Umsetzung faschistoider Propagandaträume in einem Bereich, in dem man es nie für möglich gehalten hätte, der freien Marktwirtschaft nämlich. Hier stimmt, was über die Beherrschung von gesellschaftlichen Diskursen immer behauptet wurde: Begriffe werden mit Inhalten besetzt, Ideen erobert oder – sofern jemand störende einstreut – diese platt gemacht.

Indem ich den Begriff XY nur noch im Sinne seines „Besitzers“ verwenden darf, und nicht anders, werde ich zu seinem Diener. Will ich das aber nicht, so wird mir die Möglichkeit genommen, ihn zu benennen und damit auch die Machtfunktion der Sprache. Wenn Sprache, wie Wittgenstein meinte, wirklich das Haus des Seins ist, dann werde ich damit in eine fremdbestimmte Wirklichkeit hineingezwungen, die ich anerkennen muss oder im Wahne verzweifeln.

Nun gut. Ganz so schlimm es wahrscheinlich nicht, eben weil Macht und Schöpferkraft doch zwei verschiedene Dinge sind. Es ist ja nicht so, dass es bei vielschichtigen Geschichten wie der menschlichen Sprache besonders angemessen wäre, Eindeutigkeit zu verordnen, weshalb die nationalen Rechtssysteme auch mehr oder weniger enge Grenzen setzen, was die Vermarktung von Begriffen angeht, auch, damit man als demokratischer Staatsbürger nicht in Gefahr gerät, gänzlich seiner Diskursfähigkeit beraubt zu werden. So sind Marken beispielsweise auf bestimmte Bereiche begrenzt, was bei Bildkonstrukten meist auch prima funktioniert, bei Sprache aufgrund ihrer vielfältigen Ebenen jedoch immer wieder Raum für allerlei Rechtsstreitigkeiten gibt. Dass wir trotz vielfacher Bemühungen entsprechender Rechteinhaber immer noch frei sprechen und schreiben können, ist aber eben gerade dieser Vieldeutigkeit geschuldet.

Denn nicht nur lassen sich einzelne, auf bestimmte Weise geschützte Begriffe vielfach ausdeuten, sodass sich Englischsprecher auch heute noch über einen Apfel oder Fenster im Plural unterhalten können, ohne von der EDV-Industrie abgemahnt zu werden. Nein, umgekehrt kann man gemeinte Sachverhalte auch ohne vorbestimmte Begriffe treffen, indem man sprachlich einfach hinreichend kreativ wird. Dabei braucht man noch nicht mal allegorisch oder ironisch zu werden, die Möglichkeiten, sich autoritären Systemen durch Sprache zu entziehen, sind letztlich so unbegrenzt wie die Sprache selbst, vorausgesetzt, man ist noch kunstfertig genug, sie zu benutzen.

Diese der Sprache innewohnende, wandelbare Kraft ist von der, die nur Begriffe besetzen will, gänzlich verschieden. Hier beginnt die eigentliche Kunst, die übrigens auch immer dann einsetzen muss, wenn es um Sachverhalte geht, die den vorhandenen Besitzstand überschreiten. Man spricht ja viel von Zyklen in letzter Zeit, von Blütephasen und Depressionen, sie bestehen wohl auch im Bereich der Sprache. Phasen des sprachlichen Machterhalts, wo der Besitz der Wörter alles ist, wo alles in feste Regeln gepresst wird, sei es orthografisch, grammatisch oder juristisch, zeigen den Niedergang an und verursachen letztlich, was sie verhindern wollen: die Entstehung von Sprachwandel. Phasen sprachlicher Kreativität, so sie einen gewissen schöpferischen Höhepunkt überschritten haben, münden dagegen zwangsläufig immer auch in neue Phasen des Machterhalts, denn hat man sich einmal an sprachliche Kräfte gewöhnt, doch die eigene Innovation versiegt, so bleibt nichts übrig als der Versuch, die geschwundene Schöpferkraft durch mächtige Worte zu kompensieren.

Letztlich können wir deshalb auch über die Sprache keine Ewigkeit erzwingen, sodass auch Dichter nicht unsterblich, sich allerhöchstens selbst historisch werden. Epigonen, die untoten Ringgeister der Poesie, wird es daher immer geben, ewige Jugendlichkeit und Schöpferkraft dagegen bleibt ein lauer Mittsommernachtstraum sehnsüchtiger Sprachkünstler.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.