Hochfest des Zombie-Egoismus

Halloween (Foto: Александар via Pexels)
Halloween (Foto: Александар via Pexels)

Mit der letzten Börsenkrise prophezeiten seine Kritiker einmal mehr das nahe Ende eines Raubtierkapitalismus. Doch das stimmt nicht – nie war er so mächtig wie heute. Wir leben im Konsumzombiezeitalter.

Die Generation der Konsum-Zombies

Erst in der Gegenwart ist es nämlich gelungen, eine Generation von Menschen zu generieren, denen letztlich nichts mehr heilig ist und deren ganzer Lebenszweck daher hirnloser Konsum sein kann. Da spielt es keine Rolle, dass die irdischen Ressourcen in naher Zeit sich wohl erschöpfen. Da lässt es die meisten kalt, dass Obsoleszenz in der Industrie schon längst zum verehrten Ideal geworden ist, zum „optimalen Design“. Da regt es niemanden wirklich auf, wenn Abhörskandale immer größere Dimensionen annehmen. Jedenfalls hatte es doch keinerlei praktische Auswirkungen auf Wahlen und den persönlichen Lebenswandel. Oder?

Und wenn, ergeben sich nur dumpfe Reflexhandlungen, so als ob jemand einem versehentlich gegen das Schienbein stößt. Das verwundert auch nicht, wo entsprechende Handlungsgrundlagen fehlen. Denn auch echtes Umweltbewusstsein und Menschenwürde, die in persönlicher Freiheit und Privatsphäre mitschwingt, sind Werte, die längst verblasst sind.

Halloween als Konsum-Event

Was bleibt, sind Konsumzombies, die sich am heutigen 31. Oktober erneut selbst feiern können – Halloween. Das ist allerdings dann kein Fest, sondern ein Event. Feste müsste man feiern, wie sie fallen, man kann sie nicht selbst setzen. Wie alle heiligen Zeiten haben Feste ihren eigenen Rhythmus und Kulturkreis und sind nicht beliebig verfügbar. Anders das Event, das man setzen kann, wie man will und das auch keinen anderen Inhalt hat als sich selbst. Insofern ist Halloween in Deutschland auch austauschbar geblieben. Eine Dekorationsbereicherung. Das gelebte Halloween – ein Besäufnis mehr für die Erwachsenen, das durch den Zuckerrausch auch schon den Kleinkindern anerzogen wird. Über den Wert früherer Feste hatte ich schon in „St. Martins verlorenes Erbe“ geschrieben.

Was aber sind die Folgen, wenn man den Konsum zum einzigen verbleibenden Wert erhebt? Und warum tut man das überhaupt? Adam Smith, Gründervater des Kapitalismus, hatte die freie Marktwirtschaft seinerzeit ersonnen, um größtmöglichen Wohlstand für die Nationen herzustellen, das Gemeinwohl stand noch im Zentrum seiner Überlegungen. Es ging um persönlichen Wohlstand und den der Gesellschaft. Heute geht es vielerorts nur noch darum, das bloße System am Laufen zu halten.

Daher wird der Konsum selbst zum Wert. Denn ohne ihn gibt es kein Wachstum, was heute aber Voraussetzung ist, um systemische Seiteneffekte (wie die systemimmanente Überschuldung der öffentlichen Hand) in Grenzen zu halten. Letztlich sind aber auch „alternative“ Konzepte wie Nachhaltigkeit nichts anderes als Mittel zur Systemerhaltung. Einen übergeordneten Wert stellt auch Nachhaltigkeit nicht dar, es sei denn, man sähe im Systemerhalt selbst einen Wert. Denn das Nachhaltigkeitskonzept stellt nichts anderes als eine Methode dar, das System möglichst lange zu erhalten. (Früher nannte man das übrigens Konservativismus).

Höhere Werte, das waren zu Adam Smiths Zeit noch persönliche Freiheit und Würde, vermittelt in Privatheit und dem Recht zur öffentlichen Partizipation. Freiheit und Menschenwürde hat man inzwischen dem „Kampf gegen den Terrorismus“ geopfert, dieser modernen Form des Hexenwahns. Die beiden letzteren, Privatheit und das Recht zur öffentlichen Partizipation, die nicht nur liberale Grundsäulen sind, sondern auch Fundament einer jeglichen öffentlichen Ordnung („res publica“), sie werden im globalen Dorf geradezu in Grund und Boden gestampft, indem man Privatsphäre einerseits nicht mehr zulässt und andererseits öffentliche Partizipation privatwirtschaftlichen Interessen zum Fraß vorwirft – realexistierende soziale Netze sind, so wie sie heute existieren, alles andere als eine „Demokratie 2.0“. Sie dienen letztlich nur der Konsumoptimierung. Damit finanzieren sie sich.

Echte Werte kann man nicht vermitteln, nur leben

Wo aber auch sollen höhere Werte herkommen sonst, wenn sie tagtäglich im Leben geleugnet werden und damit auch nicht mehr an kommende Generationen weitergegeben? Die Massenmedien sind Profitinteressen nicht weniger unterworfen als politische Gruppierungen, das Presseethos lohnt sich genausowenig wie ein Poliker sich durchsetzten wird, der seinen Job nur aus Verantwortungsbewusstsein betreibt. Wer will denn heute schon die Wahrheit hören? Lieber lassen wir uns mit sanften Lügen berieseln oder mit deftigen Schlagzeilen oder Parolen in Stammtischstimmung versetzen.

Schulen können das auch nicht richten, wenn sie nur Spielplätze für Ideologen sind, die in immer kürzerer Zeit mit immer weniger Mitteln und immer schneller immer jüngere Bürger produzieren. Wo bleibt da der Raum, die notwendige Selbstkritik zu entwickeln, oder gar Charakter? „Werte kann man nicht vermitteln, Werte realisieren sich im Handeln“, mahnte uns einst mein Religionspädagogikprofessor, das war noch lange vor G8, Bologna und den neuesten Bildungskreationen, die ganz ohne Lehrer als Vorbilder auskommen wollen. (Und ob immer schneller ausgebildete Lehrkräfte überhaupt noch als Vorbild oder wenigstens Reibungsfläche taugen, ist auch fraglich.)

Wo werden Werte im Handeln von Jugendlichen oder Erwachsenen heute noch realisiert? Wo begegnet man heute noch Vorbildern? Im Fernsehen oder in Facebook? Durch Massenmedien, die in sehr durchschaubarer Weise nur ihrem eigenen Profit dienen? Welcher andere Wert als nur noch Selbstbereicherung realisiert sich darin, wenn Eltern ihre Kinder auf Süßigkeitenjagd an Halloween schicken, oder an Christmass, Ostern oder wie die anderen Selbstbeschenkungsfeste auch immer heißen?

Es würde im Übrigen auch nicht ausreichen, den Konsum einfach zu verweigern, weil auch aus Verweigerung noch kein Mehrwert entsteht. Was wirklich fehlt, sind Menschen, in deren Handeln sich Werte wie Nächstenliebe, Verantwortungsbewusstsein, Wahrhaftigkeit realisieren, die sie vorleben.

Sündenböcke statt Eigeninitiative

Das ist der Gesellschaft unterschwellig vielleicht durchaus bewusst. Denn nur so sind einige mediale Hexenjagden auf Politiker oder Kirchenoberhäupter erklärbar, die das eben (auch) NICHT tun, aber nach Ansicht der Gesellschaft stellvertretend tun müssten. Da existiert noch so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein, das sich an Prominenten abreagiert. Mit dem eigenen Leben hat das aber trotzdem nichts zu tun. Eher mit dem psychologischen System des Sündenbocks.

Auch gilt: Man kann Moral nicht delegieren. Sowie auch Demokratie nicht funktionieren kann, wenn man nur alle Jubeljahre zur Wahl geht und sie nicht auch sonst aktiv lebt, so klappt es auch nicht mit einem moralischen Handeln nur durch Stellvertreter, oder indem man sich künstlich über deren Fehler aufregt und über andere ablästert. Oder ein paar hippe Parolen in sozialen Netzwerken „liked“. Das alles ist noch kein moralisches Handeln. Das ist im besten Falle spießbürgerlicher Moralismus, der „Sapere aude!“ durch eine billige Aktionitis ersetzt.

Gutsein – das müsste man schon selber tun. Man müsste sich aktiv engagieren für Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Zivilcourage – konstruktiv und nicht bloß destruktiv. Und zwar nicht in Form von Events, sondern im gelebten Alltag. Dann würden sich auch Werte wieder realisieren, dann wären sie da. Und dann würden so manche Aktionen der gegenwärtigen Gesellschaft auch in aller Klarheit so egoistisch und lächerlich vor Augen treten, wie sie das ja eigentlich sind. Und wie alle Illusionen und Täuschungen würden sie dann wohl schwinden und Platz machen für etwas, das vielleicht menschenfreundlicher ist.

Ich fürchte allerdings, dass erst eine kommende Generation alle Sünden von heute offenlegen wird, und sie wird dabei wenig rücksichtsvoll mit ihrer Vorgängergeneration sein. Denn die Schäden sind schon heute groß in Umwelt, Gesellschaft und Kultur. Das will man nicht wahr haben, darüber will man sich keine Gedanken machen müssen. Denken? Fehlanzeige!

Gehirn?! Die Zombieapokalypse hat längst eingesetzt – wir leben bereits im Zombiezeitalter…

Über Martin Dühning 1493 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.