Kommt Zeit, kommt Rat

Es gibt Zeiten im Leben, da wird einem klar: Jetzt sollte man einen zündenden Einfall, einen kreativen Gedankenblitz haben. Und das Herz flimmert und der Kopf ist leer und man wartet. Man wartet lange. So lange, bis einer kommt. Oder auch nicht. Aber meistens, irgendwann, kommt dann doch was…

… ein Morgen vielleicht, den man gar noch nicht wollte, weil die Nacht mal wieder rum ist, bevor sie selbst so recht da war – oder sie war da, blieb lange und man konnte mit ihr doch nichts anfangen in aller Stille. Klammheimlich hat man sie dann verpasst und war doch noch nicht mal schuld daran.

Auch im Frühling gibt es lange, schlaflose Nächte, die von kürzeren, ebenso schlaflosen Morgenscheinen, vögelchenkonzertbegleitet abgelöst werden oder dem Donner eines nächtlichen Gewitters oder dem Rauschen von Regentropfen auf grasjungem Blattwerk. Und man liegt und denkt und grübelt und die Uhr tickt, der Zeiger dreht sich, die Zeit vergeht, man selbst müde und doch nicht, der Kopf leer aber die Sehnsucht so groß, dass man entweder einschlummere oder er sich doch wenigstens mit süßen Ideen und leuchtenden Gedanken füllt während es noch dunkel ist oder auch schon, wenn es dann hell wird.

Überall drumherum ist Mai. Ein großer, grüner, bunter Mai und mirnixdirnix sind überall Blümchen gewachsen, Heckenrosen prangen, die so schön duften, grüne Kräuter, Heilkräuter, heillos durcheinander und man selbst heilt dann – hofft man – irgendwann auch. Und die Wälder sind auf einmal wieder so dicht und buschig, als hätte es die Wintermonde mit ihren knorrigen Knochenfingern als Bäumen nie gegeben und überall sind Fest- und Hochzeiten und man wundert sich nur und ist verwirrt, wo auf einmal diese ganzen glücklichen Menschen herkommen.

Manchmal wird einem die Freude der Anderen dann auch zuviel, vor allem, wenn man selbst noch nicht so ganz aufgetaut ist von den Winterfrösten und sich die Arbeit auf den Schreibtischen höher stapelt als die Lilien im Garten wachsen konnten. Das ist das Kreuz, das man mit dem Teil der Welt hat, die nicht an die Jahreszeiten gebunden ist und auch auf sonst nichts Rücksicht nimmt als auf den Ablauf des eigenen Systems.

Doch bleibt die unverrückte Hoffnung, dass auch sie irgendwann niedergeht, die spröde, frühhühnerne Nurmenschenwelt mit ihren ausgerechneten und selbstgestrickten Falten und Kummertaschen, verkümmert und niedergeht, so wie die Börsenkurse kranker Banken. Und wenn nicht, erträumt man sich einfach einen kleinen Flammenwerfer für den Schreibtisch, der den schnöden Bürokram hinwegfegt, flambiert zu einem Pfingstfeuer oder man wartet eben auf die Gedankenblitze, welche sich urplötzlich ergießen wie die Maigewitter der vielen Tiefs, die aber anders als diese nahende Probleme lösen, für welche die Drittmenschen noch nicht einmal einen Blick übrig haben.

Über Martin Dühning 1520 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.