Frühlingsgefühle II

Als D. aber nicht mehr aus noch ein wusste und sich seine getrübten Augen über dem verbitterten Tee einer schlichten Tasse still dämpfender Kräutermischung nur gar kärglich spiegelten, besann er sich, blickte tief in sich hinein und vermeinte sich bewusst zu werden, dass es außer dem Leuchten der Gestirne und der Natur, doch auch andere Lichter und Schattierungen gab, die selbst dann, wenn es, ganz unerwartet, früher schon düster wurde, unentwegt und destotrotz weiter glommen, im Fernen verschwommen sogar mehr noch: klangen, wie man dies auf Basis reiner physikalischer Vermutung nicht erwartet hätte.

Ohne geradewohl der Versuchung zu erliegen, in ferne, mythische Zeiten abzudriften, die ja nicht waren, wie er wusste, entschloss sich D., kurzfristig einige prosymetrische Anwandlungen zu dulden, die im Roman seines Lebens zwar sichtlich deplaziert waren, stilistisch sich auch kaum harmonisch einfügen würden und deren Inhalt zudem von äußerst zweifelhafter Qualität wäre, doch als das Glimmen stärker und stärker wurde, stellte er die Tasse sogar fast mutwillig in sein Blickfeld:

Zeitlos, Erinnerung

Zeitlos, Erinnerung: Schreite ich hinab
Über die Hügel, die grünbetauten,
Wie im April vor Jahren,
Weiß ich es noch.

Kam so schnell nicht mehr,
Kommt auch künftig nicht,
Wird doch immer sein:
Wie im April vor Jahren,
Weiß ich es noch.

Kommst du auch nicht mehr,
Bist du nicht mehr da,
Einer weiß es noch,
Einer ruht und bleibt,
Wenn die Sonne sinkt,
Wenn der Mond vergeht,
Weiß ich es noch.

Gib nicht viel auf Ruhm,
Gib nicht viel auf Stein,
Zürne nicht, wenn zerfällt,
Was du und an dir
geschaffen.

Wenn die Sonne sinkt,
Wenn der Mond vergeht,
Wenn dein Schatten selbst
hinschwindet:
Einer weiß es noch,
Wie im April vor Jahren.

* * *

Dies aber blieb ihm bewusst, dass trotz allem dies denen suspekt scheinen musste, die im überzogenen Bewusstsein herumrechneten, selbst licht zu sein, wenigstens aber doch helle Leuchten, ja mehr noch: dass die Worte meistenteils wie derbe Teeflecken hinweggewischt würden oder von der gemein dahin eilenden, pausenlos Kaffee trinkenden Taschenrechnergesellschaft jenseits der Fenster überhaupt erst gar nicht festgestellt. Sei es drum, rechtfertigte sich D. gegenüber der zwischenzeitlich gelangweilten Teetasse, es war eben drum nicht jedem vergönnt, Schattierungen zu deuten oder in der Musik mehr als Schwingungen zu sehen und zudem sei jeder seines Schicksales eigener Schmied, selbige aber in Ermangelung anderer Werkzeuge müssten oft notgedrungen und mit aufrecht vermeintem Ernst in allem und jedem einen Amboß erblicken.

Da schwand das letzte Aufgebot Zephyrs dahin, hinter den Vorhängen verdunkelte es sich und D. wähnte zwischen den halbwegs zugezogenen Bordüren einen kalten Schauer über einen naheliegenden Dachgiebel wehen; Das Gefäß aber war erstarrt, der Schimmer über der Tasse erlosch, das Gemisch darinnen blieb wieder Tee: erkaltet, düster und getrübt, und war zudem recht bitter geworden.

Welch Ironie, dachte D., dass wir immer nur die Schlagschatten wahren.

Über Martin Dühning 1495 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.