ABI-Kritiken – kritisch betrachtet

Die Schülerzeitung Memphis Nr. 4 (Juni 2003) enthielt auch einen kritischen Kommentar von mir zur ABI-Zeitung 2003 am Hochrhein-Gymnasium.

The same procedure as every year…

Eine Abizeitung zu verfassen fällt recht schwer. Das hat nicht unbedingt mit Pisa zu tun. Vielmehr ist die zusätzliche Bürde, während der für die meisten Schülerinnen und Schüler doch zukunftsbedeutenden Reifeprüfung auch noch zum Teilzeitredakteur zu werden, für viele inzwischen zu einer lästigen Tradition geworden. Die Abizeitungsredaktionen stehen unter hohem Zeitdruck, Prüfungsstress und der fast unlösbaren Aufgabe, eines großen Haufens von Stufenkollegen mit vielen (meist allerdings nicht sehr vielfältigen) Ideen Herr zu werden. Der Organisationsaufwand ist beachtlich. Folge sind oft Endprodukte, die sich mehr an ihrem Umfang als an Qualität messen lassen wollen. Das war vor 10 Jahren nicht anders als heute.

Quantitative Stilblüten

Bedenklich wird es allerdings, wenn der Trend zur Quantitätssteigerung in schablonenhaften 0815-Totalvernichtungen endet, quasi im Stil:

An Herrn/Frau _______________ (beliebigen Namen hier eintragen)
Wir möchten uns ganz herzlich für gar nichts bedanken, wir konnten alles selbst schon, bevor wir an diese Schule kamen. Sie sind ein Ekel, wir aber Genies.

PS: Wir hassen Sie.

Wem dies allzu übertrieben vorkommt, der möge einen unverbindlichen Blick auf Seite 180 der ABI-Zeitung 2003 werfen.

Ein humorvoll-kritischer Rückblick auf die Schulzeit macht Sinn und ist wünschenswert, auch als Qualitätsrückmeldung für die Verbliebenen. Dass Kritik in obiger Form aber weder besonders humorvoll ist, noch einem Menschen mit Hochschulreife angemessen, sollte jedem klar sein. Nicht zuletzt missachtet eine solche Form der Auseinandersetzung den Umstand, dass auch ABI-Zeitungen als Medien der öffentlichen Meinungsbildung wirken und dass eine Aussage in derart blanker Form von Außenstehenden, also anderen Schülern, Eltern, Kollegen und Werbeträgern, nur für bare Münze genommen werden kann. In keinem Fall trägt das zur Steigerung der Schulqualität bei.

Freiheit und Verantwortung

Wer trägt eigentlich die Verantwortung für in Abizeitungen veröffentlichte Artikel? Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Ansicht nicht die Schulleitung. Die listige Idee, fragwürdige Inhalte an ihrer Zensur vorbeizuschmuggeln und im Zweifelsfall dann die Schulleitung die Sache ausbaden zu lassen, verfängt nicht: Denn erstens gibt es keine Zensur von Schülerzeitungen an staatlichen Schulen in Baden-Württemberg, auch hier gilt nämlich das Grundrecht der Pressefreiheit (Schülerzeitschriftenverordnung §1, Abs. 1). Eben dieses Grundrecht schließt zweitens aber auch einen verantwortlichen Umgang damit ein: Eine im Raum der Schule veröffentlichte Zeitung „muss mit der für die Presse gebotenen Sorgfalt darauf achten, dass sie wahrheitsgemäß berichtet. Sie soll Einseitigkeit vermeiden, und sich darum bemühen, sachlich, in ihrer Kritik ernsthaft, in der Form nicht verletzend und die Wertvorstellungen anderer achtend zu argumentieren.“ (SZV §3, Abs. 1) Geschieht dies nicht, so wird in der Praxis natürlich zunächst die Schulleitung Zielscheibe der Empörung werden. Jedoch gilt: „Für alle Veröffentlichungen in der Schülerzeitschrift tragen Herausgeber und Redakteure die rechtliche – auch die zivil-, straf-, und presserechtliche – Verantwortung.“ (SZV, §4, Abs. 2)

Allein der Vertrieb auf dem Schulgelände kann vom Schulleiter in Beratung mit der Schulkonferenz untersagt werden, wenn sie fragwürdige Inhalte aufweist (SZV, §5, Abs. 2). Um dies zu überprüfen,
darf er vorab ein Probeexemplar einfordern.

Die Verantwortung für die Inhalte verbleibt dennoch allein bei den jeweiligen Verfassern. Das bedeutet für Schüler- und Schülerinnen eine sehr große Freiheit, die sie bewusst, aber eben auch verantwortungsvoll nutzen sollten. Humorvolle Kritik an seinen (Ex-)Paukern gehört mit zu dieser großen Freiheit. Schriftliche Racheakte aber werden der zugehörigen Verantwortung nicht gerecht.

Martin Dühning

Zuerst veröffentlicht in Schülerzeitung Memphis Nr. 4 (2003), S. 54-55

 

Über Martin Dühning 1520 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.