Bild dir nichts ein…

Ein oft missverstandenes Gebot dreier Weltreligionen ist das Bilderverbot. Während es sich im Pentateuch explizit gegen Götzenverehrung wendet, vor allem auch gegenüber dem einen Gott selbst, wurde es in späteren Zeiten immer weiter ausgedehnt, bis hin zum totalitären Verbot jeglicher Illustration. So war das nicht gemeint gewesen – und dennoch: es steckt viel Wahres darin, das Bild ist gefährlich, wie schon Max Frisch zu bemerken wusste.

Dass wir uns aller guten Vorsätze zum Trotz Bilder machen von allem und jedem ist eine traurige Wahrheit. Ebenso, dass wir uns allzu leicht blenden lassen von verinnerlichten Äußerlichkeiten. Daher blickt der aufgeklärte Europäer mit gewisser Verachtung in den Fernen Osten, wo noch heute überall das Bild regiert, nicht die durchdachte Schriftsprache. Zu Unrecht jedoch – denn nicht zuletzt die Aufklärung scheiterte an der letztlich irrationalen, unzerdeutbaren Grafik, sodass sie die Bilder zwar verachtete, ihnen aber ausgeliefert bleibt und nichts wirklich entgegenzusetzen hat: Laokoon gleich werden die Schriftdenker von Bilderschlangen niedergewürgt, hilflos mahnend.

Außerdem wird das Bild nur dann zum Götzen, wenn man es absolut setzt – eine Gefahr, die in Bildkulturen ohnehin geringer ist, wenn Grafiken inflatorisch eingesetzt werden. So sind es dann doch oft eher die Westler, die Opfer von Bildern werden, von uneingestandenen meist, Opfer der eigenen Bilder im Kopf, die selbst den Bilderstürmern innewohnen.

Wir sammeln Vorurteile, scheinbar begründet durch rationales Argumentieren, doch die Argumente verschleiern allzu oft die plumpen Innenbilder, weil nur wenige sich je wirklich damit beschäftigt haben mit Bildbedeutungen seit der Aufklärung. Die Allegorien sind hin, die Querverweise verpönt, das Faktische nur anerkannt und die Vernunft. Und doch ist nichts weniger real oder gar vernünftig wie die Fotografie und alle auf ihr aufbauenden Formen wie Film und Fernsehen. Statt Realität abzubilden, schaffen sie eigene Wirklichkeiten und werden selbst von den „klugen“ Leuten oft unhinterfragt geglaubt. Das hat man davon, wenn man den Kindern früh das Malen und Zeichnen austreibt.

Ein gutes Beispiel, wie Vorurteile verinnerlicht, dann veräußerlicht und dann vollends vermischt werden, ist die „fotorealistische“ Grafik. Hier wird als Einheit gesetzt, was nie eine war und das so, dass wir es möglichst glauben, weil es unsere Denkgewohnheiten dupliziert. Man sehe sich die digitalen Menschen-Modelle an: Mehr Vorurteil geht nicht – meist weit entfernt von der gelebten Wirklichkeit nahmen sie schon vor Jahrzehnten vorweg, was Castingshows heute als Zuschauerrealität setzen.

Moralinsaure Debatten können nicht verhindern, dass hier massig uralt-chauvinistische Vorurteile repliziert und unterschwellig verbreitet werden, weil wir heute noch immer nicht in der Lage sind, die Aufklärung auf den Bildbereich anzuwenden. Wir scheitern übel am scheinbar Faktischen.

Die Illusion macht Fortschritte. Während es mir noch vor zwei Jahren unmöglich war, halbwegs authentisch erscheinende Personen abzubilden, so ist das – geeignete Software vorausgesetzt – nun auch jedem Hobbygrafiker möglich. Doch so authentisch Haut und Haare vom Computer inzwischen nachgebildet werden können, mehr als modische Schönheitsschablonen aus dem Kopf der meist männlichen Programmierer kommt dabei selten heraus. Charakterfotografie ist etwas anderes, ein lebendiger Mensch ein echter Unterschied.

Doch was kümmert’s – die digitalen Schaufensterpuppen sind ohnehin viel besser geeignet, Vorurteile zu bestätigen und das wohlige Gefühl technischer Intelligenz zu fördern, die in Wirklichkeit wohl eher geistige Inzucht zu nennen wäre. Insofern wird auch die virtuelle Welt nichts wirklich bewirken, außer die Vorurteile der Menschen schneller und perfekter zu kopieren und ihr Denken zu nivellieren.

Wollte man dies verhindern, müsste man nicht nur die Gedanken auffrischen, sondern auch die Werkzeuge erweitern, mit denen wir hantieren. Oder aber, und dies wäre echte Kunst, die vorhandenen so missbrauchen, dass sie das, was zu zeigen sie eigentlich nicht fähig sind, bewerkstelligen: das unbedingt Andere. Die analoge Fotografie hat diesen Schritt längst getan, wie schon viel früher die Schriftsprache.

Aber die digitalen Medien sind noch nicht soweit. Nur selten aber gibt es virtuelle Welten, die mehr sind als bloß virtuell, Kopiermaschinerie für Vorurteile.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.