Mein kleinster Garten

In einer Welt, in der das gesellschaftliche Klima zunehmend rauher wird, haben die kleinen Dinge wieder Konjunktur. Man besinnt sich auf winzige Schönheiten, sei es in Schreibschriften (Handlettering), Journale, Miniaturzeichnungen (Sketchbooks und Zentangle) oder neuerdings Miniaturgartenbau (Tassengärtnerei).

Ein Miniaturblumengeschäft, die neue Liebe zum individuellen Detail, gefertigt in Fernost... (Foto: Martin Dühning)
Ein Miniaturblumengeschäft, die neue Liebe zum individuellen Detail, gefertigt in Fernost… (Foto: Martin Dühning)

Es ist vielleicht der Überdruss an der allzu synthetischen Globaltechnik mit ihren gar zu edlen, allzu perfektionierten, somit seelenlosen Designs, welcher die Lust auf sichtlich Handgemachtes wieder steigen lässt. Und es mag einer Tendenz zur Inneren Emigration gegenüber dem schroffen gesellschaftlichen Großklima geschuldet sein, dass die Kleinstkunst öffentlich aufblüht. Es begann mit winzigen Zeichnungen, setzte sich mit einer neuen Konjunktur der Schreibschriften fort, die nun immer häufiger auch auf Webseiten oder in Massenmedien im Druck zu finden sind, sei es in neuen Naturliebhabermagazinen oder in der überbordenden Flut von Gartenzeitschriften. Berücksichtigt man die Renaissance der Serifenschriften fast überall und die vielfältig aufkommende Retrooptik bei Automobilen und Haushaltsgeräten, dann sind wir schon mitten in einem Richtungswechsel – „Back to the roots“.

Drittens kann aber in Zeiten von Negativzinsen und einer Flucht in Sachwerte nicht jeder mehr einen eigenen Garten haben, denn dem Run auf Grundstücke, der verkappten Immobilienblase, ist es zu verdanken, dass selbst kleine Hintergärten für das neuerlich gärtnernde Bürgertum inzwischen unerschwinglich geworden sind. Zumal man in den deutschen Städten und Großgemeinden ja oft versäumt hat, dafür entsprechende Flächen freizuhalten. Selbst auf dem Lande, wo die Agrarindustrie meist nur noch riesige Monokulturen vorhält, sucht man Bauerngärten aber auch vergebens – so bleibt der Rückzug in die Miniatur, in den Fenster- oder Tassengarten in der heimischen Küche oder im Wohnzimmer.

Nun wäre die moderne Konsumgesellschaft nicht die moderne Konsumgesellschaft, wenn sie die „Kleinkunst“ nicht für Jedermann modular zum Kauf feilbieten würde, unabhängig davon, ob er kunsthandwerkliche Talente besitzt, oder nicht, und deshalb kann man „Schreibschriften“ auch für den PC erwerben, so man nicht selbst den Füllhalter führen mag, für „Zeichenkunst“ gibt es allerlei Schablonen und den Miniaturgarten gibt es vorgefertigt in Einzelteilen (serienmäßig produziert in Asien), alles ganz einfach vorgefertigt zum Kaufen. Keiner muss so mehr wirklich ganz selbst kreativ werden, darf aber seinen Traum von der neuen Eigenständigkeit ausleben.

Dennoch – der neue Trend hat etwas für sich, man darf wieder von einer Welt ohne Technik träumen, denn der Trend geht vom Äußerlichen zumindest anscheinbar wieder zu den inneren Werten, stellt die berechtigte Frage, ob „immer größer“ und „immer leistungsfähiger“ wirklich immer besser sein muss. Das ist ein bedeutender ideeller Fortschritt gegenüber plattem Konsumismus, der gar nicht mehr selbst kreativ wird, weil technisierte Perfektion ja gar nicht mehr wirklich individualisierbar ist. Und wenn von 100 Miniaturgärtnern auch nur noch zehn, ja vielleicht einer, wirklich selbst aktiv werden, wirklich eigene Fantasiewelten erschaffen, so ist doch viel erreicht.

Denn die Kleinkunst und die wilde Fantasie werden so wieder salonfähig – und der Primat der bloßen Technikmasse ist vielleicht ein wenig hinterfragt.

Über Martin Dühning 1437 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.