M. Johannes Plavius – ein bekannter Unbekannter

Die Lyrik des Johannes Plavius, Teil 3

Kupferstich aus dem Merian, Topographia Electoratus Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae (erste Ausgabe 1652 oder 2. Ausgabe um 1680), zitiert nach Wikimedia Commons.
Kupferstich aus dem Merian, Topographia Electoratus Brandenburgici et Ducatus Pomeraniae (erste Ausgabe 1652 oder 2. Ausgabe um 1680), zitiert nach Wikimedia Commons.

Der Danziger Lyriker Johannes Plavius fristet im Gesamtfeld der deutschen Literatur heute ein Schattendasein. Nur in wenigen Autorenlexika wird er aufgeführt, selten tritt er in Anthologien als Beispiel für frühe Deutsche Lyrik hervor. 

Die letzte Gesamtedition seines deutschsprachigen Werkes erfolgte 1939 durch Heinz Kindermann im Rahmen seiner „Deutschen Literatur in Entwicklungsreihen“; 1970 erfolgte ein Neudruck dieser Reihe. Auf Basis des Werkes erfolgte auch die teilweise Digitalisierung auf Zeno.org. Leider übernimmt die Onlinefassung auch die Fehler von Kindermanns Edition. Für meine Staatsexamensarbeit 2001 habe ich daher die Gedichte auf Basis der barocken Orginaldrucke neu transkribiert.

Rezeption und literaturwissenschaftliche Einordnung

Mit der Einordnung des Dichters Plavius tat sich die Literaturwissenschaft von Anfang an schwer. Sein eigenwilliger Stil bereitete schon den Kritikern im Gefolge von Martin Opitz Kopfschmerzen. Dies führte dann spätestens am Ende des 17. Jahrhunderts zu vernichtenden Urteilen der Literaturkritik, die den Ruf von Plavius für lange Zeit schädigten.

Erst spät, Ende des 19. Jahrhunderts, wurde Plavius rehabilitiert. Besonders Carl Lembke und Victor Manheimer1Manheimer, Victor: Johannes Plavius, ein Danziger Sonettist, in: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins, 2 Jg., Danzig 1903, S. 69-71. gaben dem Dichter seine Lorbeeren zurück. Man versuchte auch, Verbindungen von Plavius zu Gryphius oder gar dem Nürnberger Kreis zu ziehen.

Heinz Kindermann2Kindermann, Heinz (Hg.): Danziger Barockdichtung, Leibzig 1939 (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Ergänzungsband). ging 1939 noch einen Schritt weiter. Er war auf der Suche nach einem deutschnationalen Dichter Danzigs. In der Person des Johannes Plavius glaubte er ihn gefunden zu haben. Kindermann kommt immerhin das Verdienst zu, mit seiner Edition das Werk des Plavius erstmals wieder einem größerem Fachpublikum zugänglich gemacht zu haben. Literaturwissenschaftlich allerdings brachte Kindermann nichts Neues zutage. Mit seinem Versuch, Plavius zum Mittelpunkt eines eigenen Dichterkreises zu erheben, ging er wohl zu weit. Bei seiner wissenschaftlichen Beschäftigung konnte sich Kindermann außer auf Manheimers Arbeiten noch auf zwei Arbeiten der Zwischenkriegszeit stützen:

Die eine behandelt den „Danziger Dichterkreis des 17. Jahrhunderts“ und stammt von Walter Raschke3Raschke, Walter: Der Danziger Dichterkreis des 17. Jahrhunderts, Dissertation, Rostock 1921.. Sie ist bis heute eine wichtige Quelle für die Beschäftigung mit Danziger Dichtung des 17. Jahrhunderts, und wird dementsprechend auch sehr häufig zitiert. Dennoch ist gerade Raschke mit Vorsicht zu genießen, da er bisweilen spekulativ vorgeht.

Bei der zweiten Arbeit handelt es sich um die Dissertation von Lambert Peter Sartor aus dem Jahr 19204Sartor, Lambert Peter: Johannes Plavius, und seine Danziger Gedichtausgabe von 1630, Dissertation, Königsberg 1920.. Sie ist die bislang ausführlichste und materialreichste Arbeit zum Thema „M. Johannes Plavius“5Alle angeblich „neuen“ wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Kindermann in seinem Werk über Plavius an den Tag legt, finden sich schon bei Sartor, obwohl Kindermann ihn mit keinem Wort erwähnt. Heute würde man das als Plagiat bezeichnen.

Die neuere Forschung beschäftigte sich mit Plavius eher marginal. Zwei Arbeiten sind besonders zu erwähnen: Ulrich Bornemann exemplifiziert an Plavius die Rezeptionstätigkeit frühbarocker Dichter6Bornemann, Ulrich: Anlehnung und Abgrenzung, Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts, Assen; Amsterdam 1976.. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf niederländischen Quellen. Plavius dient ihm als Beispiel. Dick Van Stekelenburg widmet Plavius sein Augenmerk im Rahmen seiner Arbeit über Michael Albinus7Stekelenburg, Dick van: Michael Albinus ‚Dantiscanus‘ (1610-1653), eine Fallstudie zum Danziger Literaturbarock, Amsterdam 1988 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Band 74).. Ihm kommt das Verdienst zu, als erster nach Sartor eine literaturwissenschaftliche Zusammenschau zu Plavius zu liefern.

Es fehlt noch immer ein repräsentativer Überblick über die ganze Danziger Literatur des 17. Jahrhunderts. Gewichtiger ist aber, dass gerade ein Autor wie Plavius Einblicke in die kulturkommunikativen Verflechtungen seiner Zeit voraussetzt. Die gut lesbaren Aufsätze von Mannack8Mannack, Eberhardt, Barockdichter in Danzig, in: Scherer, Gabriela/ Wehrli, Beatrice (Hgg.): Wahrheit und Wort, Festschrift für Rolf Tarot zum 65. Geburtstag. Bern, Berlin u. a. 1996. S. 291-305. und Rankl9Rankl, Maximilian /Sanjosé, Axel: Literatur des Barock in Danzig. Ein Überblick, in: ACTA BORUSSICA, Beiträge zur ost- und westpreußischen Landeskunde 1991-1995, Bd. V, 1995 (Publikationsreihe der Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern e.V., 24), S. 132-177. bieten letztlich auch nicht viel mehr als das, was Raschke bereits ausgeführt hat.

Im Jahr 2005 publizierte Achim Aurnhammer einen Fachaufsatz unter dem Titel „Barocklyrik aus dem Geist des Humanismus: Die Sonette des Johannes Plavius“10Aurnhammer, Achim: Barocklyrik aus dem Geiste des Humanismus: Die Sonette des Johannes Plavius, in: Beckmann, Sabine / Garber, Klaus (Hgg.): Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2005, S. 801-826. – er stellt meines Wissens die jüngsten Erkenntnisse zum Danziger Barockdichter vor. Dabei wurden auch die Erkenntnisse meiner Examensarbeit von 2001 berücksichtigt.

Biografie: Plavius als bekannter Unbekannter

Über Plavius als Mensch ist nichts bekannt. Die wenigen Daten, die man vom ihm hat oder zumindest zu haben glaubt, sind seinen dichterischen Werken entnommen: So der Geburtsort, Neuhausen oder Plauen in Thüringen, den man aus seinem Namen abgeleitet hat. Plavius nennt sich in einigen seiner Werke (z. B. im Epithalamium für Augustin Clüppel von 1627) „M. Johannes Plavius Nehusâ Thüringus“. Man vermutet, dass Plavius daher dort um 1600 geboren wurde. Sein Alter versuchte man bisweilen aus den wenigen Anredeformeln abzuleiten, die man ihn betreffend fand – Redefloskeln sagen aber wohl mehr über den sozialen Status als über das Alter aus. So redet Plavius seine Schüler bisweilen sehr unterwürfig an, obwohl sie sicherlich deutlich jünger als er waren. Vor Manheimer waren einige Philologen noch der Ansicht gewesen, dass Plavius aus Danzig stamme11So beispielsweise Max Rubensohn in seinem Aufsatz „Der junge Opitz“ (Euphorien VI, 1899, S. 239), vgl. dazu Manheimer, 1904, S. 129, Anm. 2 und Sartor S. 8.. Neben seinem Beinamen lassen jedoch auch sprachliche Eigenarten in seinen Werken auf eine mitteldeutsche Herkunft schließen.

Ende 1624 wird Plavius durch erste Epithalamien in Danzig fassbar. 1626 nennt er sich erstmalig Magister, was insofern verwunderlich ist, als Danzig über keine Universität verfügte, er diesen akademischen Grad folglich auch nicht dort erworben haben konnte. Stekelenburg hat in den Matrikeln der Universität Frankfurt/Oder für das Wintersemester 1621 einen „Johannes Plavius Tyrigotanus“ gefunden12Vgl. Stekelenburg, S.54.. Doch verwundert es, dass Plavius seine Akademische Würde erst fünf Jahre später offenlegt.

Akademiker war Plavius ganz gewiss. Wir wissen von Michael Albinus, dass er als Privatlehrer tätig war. Albinus berichtet in seinen Lebenserinnerungen (den Personalia) von „M. Johannes Plavii Institution“13Vgl. Stekelenburg, S.50.. Der Unterricht des Plavius war demnach hauptsächlich eine Vermittlung von „Fundament und Grund in der Lateinischen Sprache“, also Grundlagenunterricht in lateinischer Sprache. Plavius betrieb vielleicht sogar eine der kleinen, halboffiziellen Lateinschulen, die mit den städtischen Lateinschulen in Konkurrenz gerieten und vom Senat daher besonders kritisch beäugt wurden. Man nimmt an, dass Plavius die nötige pädagogische Lizenz durch seine Logik „Praecepta logicalia“ (1628) erhielt. Die Beziehungen zu Peter Crüger (1580-1639) und Johann Georg Moeresius (1598-1657) legen nahe, dass Plavius aber auch zeitweise an Danziger Schulen tätig war.

Über das Privatleben des Plavius wissen wir nicht viel. Er scheint in persönlichen Kontakt zu Susanne Nuber, der Tochter eines Danziger Pfarrers getreten zu sein. Ihr sind in den Treugedichten mehrere Bindebriefchen gewidmet. In diesen Zusammenhang dürften auch Plavius‘ Versuche einzuordnen sein, mit Moeresius persönliche Kontakte zu knüpfen. Moeresius war der Schwager von Susanne Nuber, und Plavius widmet auch ihm einige Gedichte. In beiden Fällen scheint sich Plavius nicht ohne Erfolg bemüht zu haben. Seine „Braut“ Susanne übersendet ihm wenigstens einen Kranz, Johann Georg Moeresius widmet Plavius ein Anagramm im Anhang von dessen Institutio poetica:

De Compendio Poetico M. Joh. Plavii.

Joannes Plavius Nehusa-Thuringius,

Anagramma

En is lauru, unà usu insignis Poêta.

Quos Natura suis stimulis agit ignea pullos.
Flacci, Poësin ut colant;
His, ne fortè moræ pariant fastidia, PLAVI,
Artis brevem monstras viam.
Nempe, Poëta usu, lauruque insignis, id esse
Alios cupis, quod ipsus es.

J. G. M.

Neben Moeresius enthält Plavius‘ Poetik auch noch ein Widmungsgedicht des Jonas von Wallen, welcher zu jener Zeit Direktor der Danziger Petrischule war. Da auch Moeresius an dieser Schule wirkte, darf man eine Verbindung zu dieser Schule annehmen.

Persönlich in Kontakt stand Plavius wohl auch mit dem reich begüterten Bierbrauer Abraham Höwelcke (1576-1649). Durch ihn gelangte Michael Albinus zu Plavius14Vgl. Stekelenburg, S. 49.. Als Mäzen scheint Höwelcke gegenüber Plavius jedoch nicht in Erscheinung getreten zu sein. Sofern man „Johannes Höffelius“, der im Widmungstitel der Praecepta logicalia aufgeführt wird, mit Höwelckes berühmtem Sohn Johannes Hevelius gleichsetzt, scheint aber eine tiefergehende Beziehung bestanden zu haben. Mit Johannes Mochinger und Peter Crüger unterhielt Plavius Kontakte zum Danziger Gymnasium Akademikum. Beide waren für die Dichtung des Plavius von Bedeutung. Crüger widmet dem Plavius ein äusserst schmeichelhaftes lateinisches Gedicht für seine Praecepta logicalia.

In die Jahre 1628-1630 fallen die meisten großen Werke des Dichters: 1628 erschien beim Danziger Verleger Andreas Hünefeld die eben genannte Praecepta Logicalia, eine recht umfangreiche Einführung in die Logik. Dieser ließ Plavius 1629 die Institutio Poetica folgen, eine knappe, aber einprägsame lateinische Poetik. Gedruckt wurde sie beim Danziger Gymnasialdrucker Georg Rhete. Rhete druckte 1630 auch die Trauer- und Treugedichte Des Plavius. Sie enthalten überarbeitete Fassungen seiner Kasualdrucke und einen Zyklus von 100 Sonetten.

Mit dem Druck seines einzigen großen Gedichtbandes endet auch die bezeugte Existenz des Plavius. Raschke erwähnt allerdings für das Jahr 1630 noch zwei weitere Veröffentlichungen, die sich in einem handschriftlichen Verzeichnis des Danziger Staatsarchivs befinden sollen: „I. Betrachtung von der Liebe Gottes“, „II. Christi Lebens und Todesbetrachtung“15Vgl. Raschke, S. 13.

Es finden sich in Danzig weder Sterbedaten, weder Epithalamien noch Epitaphe seiner Kollegen Auch fehlen sonstige Zeugnisse seines Verbleibs. Über eine Hochzeit von Plavius mit seiner Braut – sofern sie 1630 nicht schon stattgefunden hatte16Vgl. dazu Treugedichte, S. 100, „Vber ein hochzeit geschenke“. – ist genausowenig bekannt, wie über den weiteren Verlauf seines Lebens. Zwar spricht Stekelenburg noch von einer Hochzeit des Plavius im Jahre 1637, gibt jedoch keine weiteren Angaben dazu. Eine solche steht auch im Widerspruch zu seiner eigenen Aussage auf der gleichen Seite, dass ab 1630 jegliche Informationen über den weiteren Verbleib des Dichters fehlen17Vgl. Stekelenburg, S. 54 und dazu auch Sartor, S. 27.

Es bleibt also weiterhin unbekannt, was aus Johannes Plavius nach 1630 wurde.

 

Glossar

  • 1
    Manheimer, Victor: Johannes Plavius, ein Danziger Sonettist, in: Mitteilungen des Westpreußischen Geschichtsvereins, 2 Jg., Danzig 1903, S. 69-71.
  • 2
    Kindermann, Heinz (Hg.): Danziger Barockdichtung, Leibzig 1939 (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Barock, Ergänzungsband).
  • 3
    Raschke, Walter: Der Danziger Dichterkreis des 17. Jahrhunderts, Dissertation, Rostock 1921.
  • 4
    Sartor, Lambert Peter: Johannes Plavius, und seine Danziger Gedichtausgabe von 1630, Dissertation, Königsberg 1920.
  • 5
    Alle angeblich „neuen“ wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Kindermann in seinem Werk über Plavius an den Tag legt, finden sich schon bei Sartor, obwohl Kindermann ihn mit keinem Wort erwähnt. Heute würde man das als Plagiat bezeichnen.
  • 6
    Bornemann, Ulrich: Anlehnung und Abgrenzung, Untersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts, Assen; Amsterdam 1976.
  • 7
    Stekelenburg, Dick van: Michael Albinus ‚Dantiscanus‘ (1610-1653), eine Fallstudie zum Danziger Literaturbarock, Amsterdam 1988 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, Band 74).
  • 8
    Mannack, Eberhardt, Barockdichter in Danzig, in: Scherer, Gabriela/ Wehrli, Beatrice (Hgg.): Wahrheit und Wort, Festschrift für Rolf Tarot zum 65. Geburtstag. Bern, Berlin u. a. 1996. S. 291-305.
  • 9
    Rankl, Maximilian /Sanjosé, Axel: Literatur des Barock in Danzig. Ein Überblick, in: ACTA BORUSSICA, Beiträge zur ost- und westpreußischen Landeskunde 1991-1995, Bd. V, 1995 (Publikationsreihe der Ost- und Westpreußenstiftung in Bayern e.V., 24), S. 132-177.
  • 10
    Aurnhammer, Achim: Barocklyrik aus dem Geiste des Humanismus: Die Sonette des Johannes Plavius, in: Beckmann, Sabine / Garber, Klaus (Hgg.): Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2005, S. 801-826.
  • 11
    So beispielsweise Max Rubensohn in seinem Aufsatz „Der junge Opitz“ (Euphorien VI, 1899, S. 239), vgl. dazu Manheimer, 1904, S. 129, Anm. 2 und Sartor S. 8.
  • 12
    Vgl. Stekelenburg, S.54.
  • 13
    Vgl. Stekelenburg, S.50.
  • 14
    Vgl. Stekelenburg, S. 49.
  • 15
    Vgl. Raschke, S. 13
  • 16
    Vgl. dazu Treugedichte, S. 100, „Vber ein hochzeit geschenke“.
  • 17
    Vgl. Stekelenburg, S. 54 und dazu auch Sartor, S. 27.
Über Martin Dühning 1607 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

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