Lebewohl, LibreOffice…

Wie verkrätzt man sich einen treuen Liebhaber, der schon seit 20 Jahren treu zur Seite steht? Indem man fremd geht und seinen alten Freund im Regen stehen lässt. Bei Software kann man dies zum Beispiel dadurch schnell erreichen, dass man die Unterstützung der eigenen Datenformate aufgibt und stattdessen mit Kompatibilität zu MS Office deren Nutzer versucht abspenstig zu machen – so wie es LibreOffice sich ganz offiziell in die Agenda geschrieben hat.

Dass man als treuer Nutzer dann selbst zusehen muss, wie man mit seinem Bestand von 500 bis 1000 mühsam erstellten StarOffice-Dateien noch etwas anfangen kann, die man spätestens mit LibreOffice 4.0 nicht mal mehr öffnen kann, scheint Entwicklern, die lieber Schachspiele und neue Skriptsprachen implementieren als schnöde, aber alltagstaugliche Komponenten weiterzupflegen, ziemlich egal zu sein. Als Altnutzer treibt es einem die Tränen in die Augen, wenn man sieht, was aus StarOffice inzwischen geworden ist. Denn bei allem Medien-Tamtam: Auch die neueste Version von LibreOffice sieht weiterhin keine Möglichkeit vor, einfach nur einen Font in benutzerdefinierter Couleur einzufärben, ohne sich erst mühsam durch drei Farbpaletten zu hangeln. Auch sonst hat inzwischen selbst das einst langweilige MS Word in Sachen Grafik und Tablet meilenweit Vorsprung. Von den einstigen ideenmäßigen Vorreiterrolle eines StarOffice ist garnichts mehr übrig.

Dass man sich lobenswerterweise entschloss, auf den Ribbon-Unsinn à la Microsoft zu verzichten (die Tabletts werden diese untaugliche GUI-Verirrung ohnehin bald hinwegfegen), das ist ja durchaus schön und klug. Ansonsten muss man aber weiterhin sagen, dass die Entwickler inzwischen weit abgehängt sind in Bezug auf eine alltagstaugliche Schreibanwendung: In Sachen Grafikfunktionen verharrt man aller Kantenglättung zum Trotz funktional immer noch auf dem Stand von 1994 – noch nicht mal drehen kann Grafiken in den Texten ohne Drittanbieterskripts. In Sachen Tablet-Unterstützung: Fehlanzeige und letztlich bleibt die Liste der Versäumnisse bestehen, die ich schon vor einem Jahr beklagte. (Die Hoffnung auf Apache OpenOffice hat sich auch nicht wirklich erfüllt, da man dort bemüht ist, eine Auseinanderentwicklung aufzuhalten – die Entwickler dort werden also den Unsinn nachmachen, statt besser.)

Was hat sich seither getan? Man hat mit LibreOffice die Python-Unterstützung auf die aktuelle Version 3.x gehoben, ein paar Tabellenkalkulationsformeln von MS Office nachgeahmt, grafisches Turtle-Skripting halb(!) implementiert und noch ein paar weitere nerdige Spielereien, die mehr Zeitvertreib für Informatikstudenten und vielleicht noch den einen oder anderen Mathelehrer sind, als dass sie ein durchschnittlicher Schreiberling und Officenutzer wirklich brauchen würde. Schwerer wiegen allerdings noch die Verstümmelungen an vorhandenen Funktionen in der Textverarbeitung, z. B. im Briefassistenten, die zeigen, dass die Entwickler vom Büroalltag herzlich wenig Ahnung haben und sich auch nicht darum scheren. Warum auch sonst ist es ihnen egal, dass Altnutzer mit ihren vielen Dokumenten in früheren Formaten nun ziemlich dumm dastehen. Warum sonst programmiert man eher um oder neu, als endlich mal intuitiver zu werden? Nun, weil LibreOffice wohl eher eine Spielwiese für Programmierer und Computerfreaks ist als eine Nutzanwendung für normalsterbliche Büroarbeiter. Produktivität sieht nämlich anders aus.

Was kann man jemand raten, der, laut umworben, von MS Office oder einem anderen Programm kommt und mit dem Gedanken spielt, auf LibreOffice umzusteigen? Ganz einfach: NEIN, wenn man wirklich langfristig damit ARBEITEN will. (Ich meine ARBEITEN, nicht spielen!)

STEIGT NICHT AUF LIBREOFFICE UM! TUT ES NICHT! Denn bleibt ihr bei MS Office, könnt ihr sicher sein, dass LibreOffice-Nutzer eure Dateien in jeder kommenden Version problemloser lesen können, denn darauf legt man in der LibreOffice-Entwicklercommunity ganz großen Wert. Als kostenloser MS-Office-Viewer mit Editierfunktion ist LibreOffice sehr praktisch. Die eigenen Formate aber pflegt man nicht und ein Wechsel in die andere Richtung ist nur mit viel Zusatzarbeit und Formatverlusten möglich.

Fremdzugehen lohnt sich also nicht, und gar eine Ehe mit StarOffice/OpenOffice/LibreOffice einzugehen hat sich für mich als ÄUSSERST NACHTEILIG erwiesen: In den nächsten Monaten werde ich wohl alle meine unzähligen Dokumente einzeln von Hand umwandeln müssen und dann aber auch zu einem anderen Programm übergehen, wo man als schnöder Büro-Dauernutzer dann besser bedient wird. Dafür bin ich übrigens auch bereit Geld zu zahlen, denn die Lebenszeit, die man anderweitig verschwenden muss, die gibt einem niemand mehr zurück.

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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.