Ein paar Worte zum dreizehnten Doktor

"Die 13. TARDIS" (Grafik: Martin Dühning)
"Die 13. TARDIS" (Grafik: Martin Dühning)

Wir schreiben den 1. Dezember 2018, die BBC hat inzwischen acht Folgen der Season 11 von „Doctor Who“ ausgestrahlt. Zeit für ein kurzes Fazit.

Als vor etwa einem Jahr Peter Capaldi als 12. Doktor in „The Doctor Falls“ und „Twice upon a Time“ sein Abschiedsdebüt gab, blickten alle Fans gespannt in die Zukunft. Dass der nächste Doktor weiblich sein würde, hatte sich schon länger angekündigt und war eigentlich auch längst überfällig gewesen. Schließlich war das schon Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erwogen worden – und nachdem auch die neue Serie diverse Handlungsbögen abgeschlossen hatte, war ein solcher Neustart der logisch nächste Schritt. Immerhin hatte Michelle Gomez in ihrer bewundernswerten Darstellung von „Missy“, der weiblichen Inkarnation des „Masters“, gezeigt, dass sich Timelords verlustlos oder sogar mit Qualitätsgewinn gendermäßig transferieren lassen. Auch schien mit Jodie Whittaker eine brilliante Wahl getroffen, die Darstellerin hatte ja schon im vielgelobten „Broadchurch“ gezeigt, was sie schauspielerisch draufhatte – und dessen Entwickler Chris Chipnall schien auch ein würdiger Nachfolger des scheidenden Doctor-Who-Showrunners Steven Moffat. Von Chipnall erwartete man auch ein Reboot der Serie, nachdem, Capaldis grandioser Darstellung zum Trotz, die Serie etwas kriselte, was die Zuschauerzahlen anging. Die 11. Season sollte zudem wieder stärker an das pädagogische Konzept des ursprünglichen „Doctor Who“ anknüpfen und mit einer kompletten, farbigeren Neubesetzung wieder etwas stärker irdische ethnische Konflikte beleuchten.

Alles das schien vielversprechend. So konnte auch ich es kaum abwarten, bis die Season 11 im Oktober 2018 endlich ausgestrahlt wurde. Bereits im Vorfeld gab es unter Fans heiße Diskussionen darüber, ob das neue Konzept überhaupt statthaft wäre für eine Science Fiction Serie wie „Doctor Who“, oder ob ein weiblicher Doktor und eine allzu pluralistische Konzeption nicht gleich zum Scheitern verurteilt seien. Besonders kritisch wurde betrachtet, ob die männerverwöhnten Doctor-Who-Fans das neue Konzept mittragen würden.

Ich persönlich finde, das neue Konzept war eigentlich nicht nur tragfähig, sondern hätte auch eine Menge neuer Möglichkeiten geboten. Diese hat man allerdings, soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, leider meist verschenkt. Season 11 liefert kurzweilige, solide Unterhaltung, wird so aber keine Doctor-Who-Geschichte schreiben.  Das hat, wie ich finde, weniger mit der Grundkonzeption zu tun als mit deren etwas naiver Umsetzung: So, wie die Folgen bislang dahinplätscherten, boten sie durchaus einige ansehnliche Momente, auch kann ich der sympathischen Darstellung des 13ten Doktors durch Jodie Whittaker durchaus etwas abgewinnen, doch es fehlt die Tiefe, im Gesamt kommt die 11 Season oft daher wie hübsche, kleine Lehrstunden in Political Correctness auf Grundschulniveau.

Entsprechend platt kommt damit auch der Doktor rüber: Was für ein himmelweiter Unterschied zu der moralischen Tiefe des selbstkritischen 12. (Peter Capaldi) oder auch 10. Doktors (David Tennant)! Selbst der verspielte 11. Doktor (Matt Smith) verfügte noch über mehr Reflexionsvermögen, als es der 13. Doktor (Jodie Whittaker) bislang an den Tag legte. Das ist weder dem Umstand geschuldet, dass der Doktor nun weiblich ist, noch dass ethnische Konflikte behandelt werden, ein Thema, das, wie ich finde, durchaus zu einer SciFi-Serie passt. Es liegt auch nicht primär an der aktuellen Darstellerin. Es liegt daran, dass man den Zuschauern wohl offenbar keine komplexen moralischen Fragezeichen oder auch nur episodenübergreifend ungelöste Handlungsbögen mehr zutraut.

Nun ist es aber so, dass ein Held mit seinen Herausforderungen wächst und die eigentliche Schwäche der Season 11 liegt denn auch eher darin begründet, dass sie bislang kein dauerhaft ungelöstes Motiv und keine ernstzunehmenden Antagonisten aufbieten konnte. Da ist kein Gegner, an dem sich der neue Doktor wirklich abarbeiten könnte und auch die Komparsen des Doktors bieten kaum Stoff für eine charakterliche Entwicklung. Und deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass der 13te Doktor, ungeachtet der schauspielerischen Leistungen von Jodie Whittaker, bislang noch nicht wirklich Tiefe und eigenes Profil gewinnen konnte.

Erstaunlich dagegen finde ich, wie viele große Chancen dazu in den vergangenen acht Folgen bereits verschenkt wurden – und dass dies unter Chris Chipnall passiert, der mit „Broadchurch“ eigentlich bereits unter Beweis gestellt hat, dass er mehr als die anspruchslose Unterhaltung vermag, die Doctor Who, Season 11, bislang geboten hat. Chipnalls „Broadchurch“ zeichnete in drei Staffeln immer wieder neu sehr differenzierte Charakterbilder in dem eigentlich sehr seichten Genre Krimi – „Broadchurch“ brillierte mit ästhetisch eindrücklichen Szenen, komplexen sozialen und psychologischen Strukturen, unerwarteten Wendungen und bot eine Offenheit und Tiefgründigkeit, wie sie für das Kriminalgenre eher untypisch ist. Gerade diese Offenheit und Vielschichtigkeit vermisse ich in Season 11 von „Doctor Who“ – von einigen optisch opulenten Impressionen abgesehen erinnert nicht mehr viel an die anspruchsvolle Inszenierung, die Chipnalls „Broadchurch“ genial gemacht hat. Es erinnert auch nicht mehr sehr viel an die komplexen Charakterstudien vergangener Doktorinkarnationen, vor allem der Capaldi-Ära. Stattdessen ein allzu „normaler“ weiblicher Doktor, Einzelepisoden, die storytechnisch oft zu einfach gestrickt, im allerbesten Fall gut gemachte feministische Pastiches vergangener Doctor Who-Zeiten sind, mehr nicht. (In dieser Hinsicht sehr hübsch ist „Kerblam!“, aber auch „Demons of the Punjab“.) Dabei hätte die neue Konstellation doch wahrlich noch so viel mehr Chancen geboten!

Die erste Chance, die (bislang zumindest) vertan wurde, war die Etablierung eines neuen, großen Gegenspielers. Die Pilotepisode führte zwar Tzim-Sha von den Pting ein, dieser tauchte bislang aber nicht mehr auf. Es bleibt auch fraglich, ob der zahnübersäte Möchtegernbösewicht in der gleichen Liga spielt wie frühere Antagonisten. Seither wurden in jeder Episode neue kleine Gegenspieler eingeführt, die der 13. Doktor aber entweder am Episodenende sofort (und oft storytechnisch etwas bemüht) besiegte, oder sie tauchten einfach nicht mehr auf. Daher gab es auch kaum Raum für kritische Selbstzweifel, die über die bloße Tatsache, dass der Doktor jetzt weiblich ist und damit eine andere Geschlechterrolle einnimmt, hinausgingen. So gut wie nie wurde der Doktor als grundsätzlich neue Persönlichkeit problematisiert, was aber genau eine Möglichkeit gewesen wäre, dem Charakter echte Farbe zu verleihen. Wie sollte das aber auch möglich sein, da der Doktor in Season 11 bislang nur Personen begegnet ist, die ihn zuvor noch nicht kannten? Von platten antifeministischen Ressentiments abgesehen wurde seine neue Inkarnation daher noch nie wirklich hinterfragt.

Die zweite große Chance hätte sich mit dem anfänglichen Story-Arc geboten, dass der 13. Doktor seine Tardis verloren hat. Allein aus dem Umstand mangelnder Mobilität hätte man einen ganz soliden und wundervollen Bogen um den neuen Doktor bauen können, der nun ohne das mächtigste Raumschiff des Universums Abenteuer bestehen muss und auf der Suche nach seinem getreuen Vehikel ist. Der relativ zusammenhanglose Schauplatzwechsel zwischen den Episoden wäre mit der Begründung, dass der Doktor ohne Tardis nicht mehr gezielt reisen kann, viel plausibler gewesen. Auch hat der Doktor gleich in Episode 1 gezeigt, was er auch ohne Tardis bewerkstelligen kann – bis hin zum handwerklichen Eigenbau eines Schallschraubenziehers und eines Raumzeitportals. Wie auch immer, da der Doktor in Episode 2 „The Ghost Monument“ seine Tardis wiedergewinnt, auf eine sehr vorhersehbare, dennoch nicht ganz überzeugende Weise übrigens, ist auch dieser Handlungsbogen vertan.

Seither versuchen Fans immer wieder, etwaige motivliche Brotkrumen aus den Einzelepisoden herauszulesen, die darauf hindeuten würden, dass es zwischen den Episoden einen größeren sinntechnischen Zusammenhang gibt. In den Raum geworfen wurde beispielsweise die Theorie, dass sich mit dem Stichwort „Timeless child“ in Episode 2 die Wiederkehr eines altbekannten Charakters aus dem Who-Universum andeuten würde. Allein, acht Folgen sind dahingeflossen, in denen die Zuschauer auf eine insgesamt recht naive Art und Weise über ethnische Konflikte belehrt wurden, sodass ich inzwischen ernsthaft daran zweifle, dass darüber hinaus noch eine weitere, tiefsinnigere Meta-Story eingeplant ist.

Bislang gab es immerhin noch die Christmas Specials, die manchmal noch nachträglich retteten, was in einer Season versäumt wurde, doch auch diese wurden erst mal gestrichen, was auch womöglich mehr als nur eine Frage des Sendetermins oder ein Kniefall vor kultureller Gleichmacherei ist. Die von Chipnall als Begründung angeführte „Ideenlosigkeit“ scheint mir eher ein grundsätzliches Problem von Season 11 zu sein. Und Jodie Whittaker tut mir als Schauspielerin insofern leid, als sie in dieser Konstellation auch nicht wirklich Gelegenheit dazu bekommt, sich wirklich als Timelady zu etablieren. Denn wenn alles letztlich am Schauspieler selbst hängenbleibt, weil die Story für eine Charakterentwicklung nicht genug hergibt (ein Problem, was teils auch schon Eccleston, Tennant und Capaldi hatten), dann wäre ein kantigerer Charakter wie Michelle Gomez (Missy), Cathrin Tate (Donna Noble) oder selbst die unter Fans viel gescholtene Jenna Colemann (Clara Oswald) ein besserer weiblicher Doktor gewesen als die zwar sehr sozial wirkende, aber hier allzu schattenlose Jodie Whittaker, zumal die aktuellen Begleiter des 13. Doktors charaktertechnisch auch nicht sehr viel hergeben und bislang keinerlei eigene Entwicklung aufweisen. Lediglich Bradley Walsh sticht manchmal hervor – und das, obwohl er eine eher statistische Nebenrolle spielen muss und sich daher sichtlich große Mühe gibt, in ebenderselben Jodie Whittaker nicht versehentlich die Show zu stehlen, da er eindeutig charakterlich stärker ausstrahlt. Dass er in Schlüsselszenen trotzdem oft präsenter ist als der 13. Doktor, wirkt wie ein konzeptioneller Unfall. Das ist allesamt wirklich sehr schade!

Nun fragt man sich, weil Chris Chipnall nach der schon als verkürzt angekündigten Season 12 offenbar seinen Abgang angedroht hat, wie es mit „Doctor Who“ weitergeht. Da Fiktion grundsätzlich ergebnisoffen ist, gibt es trotz allem noch einige Möglichkeiten für ein „Happy Ending“:

Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, dass man in Season 12 endlich spürbar einen roten Faden aufgreift, der vom Niveau her dem Franchise wirklich gerecht wird. Ethnische Konflikte in kleinen Episoden-Häppchen zu präsentieren ist noch kein adäquates Show-Konzept, zumal überhaupt keine hintergründige Problematisierung der gesellschaftlichen Zusammenhänge stattfindet: So wird aufklärerischer Humanismus auf bloße Political Correctness reduziert. Damit verkauft man zumindest den intellektuelleren Teil der Zuschauer für dumm. Teilweise beleidigt die stark ideologisierende Darstellung sogar die oft tragischen historischen Protagonisten (z. B. Rosa Parks, King James).

Außerdem braucht jeder Held Herausforderungen, an denen er wachsen kann. Die intergalaktische Gestalt eines Timelords oder einer Timelady ist vom Konzept her viel zu mächtig, als dass die eher mickrigen und überzeichneten Miniaturgegner in Season 11 eine ernstzunehmende Herausforderung dargestellt hätten. Es braucht endlich einen Gegenpart, der einer Timelady würdig ist! Und nein, Chipnall hat recht: Es müssen keine Dalecs oder Cyberman sein, in der 55jährigen Geschichte von „Doctor Who“ gab es noch genug andere und – der Weltraum ist groß – man darf auch ganz neue erfinden. Nur ebenbürtig sollten sie sein. Wenn es nicht zum Abschluss der Staffel 11 kommt in den letzten paar Folgen, muss das Season 12 unbedingt nachholen!

Eine weitere Möglichkeit wäre, tatsächlich die Vergangenheit des Doktors aus einer nunmehr weiblichen Perspektive auszuleuchten. Das sollte mehr sein als eine nur geänderte soziale Genderrolle im Alltagseinsatz, zumal der direkte Vorgänger, der 12. Doktor (Peter Capaldi) zu komplex gestaltet war, als dass die aktuell zelebrierte simple Geschlechterdualität für Fans glaubhaft wäre. Capaldis Doktor war eben gerade kein platter Chauvinist, er war ein weltenmüder humanistischer Skeptiker, allzu einfach gestrickt kommt dagegen seine weibliche Nachfolgerin daher. Wo ist die frühere Differenzierungsfähigkeit des Doktors geblieben? Seine Lebensweisheit aus 13 Inkarnationen? Alles vergessen? Boshafte Kommentatoren konstatieren dem 13. Doktor daher schon einen regenerationsbedingten Dachschaden.

Aber wie wäre es denn, wenn der 13. Doktor seine nunmehr erwachte neue weibliche, soziale, emotionalere Seite dazu nutzt, wieder stärker familiäre Aspekte zu betonen – also etwas, was die große Schwäche der letzten Doktor-Inkarnationen war? Die Frage nach der „Familie“ ist zudem ein ungeklärtes Motiv aus der Vergangenheit des Doktors, das dringend einer Thematisierung bedarf und einen würdigen roten Faden bieten würde, der zudem wunderbar zur Charakterisierung passt, wie sie mit Jodie Whittaker eigentlich möglich wäre.

Gleichzeitig ist die Frage, wie wir adäquat mit populistischem Männergepolter umgehen sollten, eine brandaktuelle gesellschaftliche Problematik – erleben wir doch auch politisch und gesellschaftlich eine Renaissance des Chauvinismus. Dazu nötig wäre aber humanistischer Tiefsinn, nicht bloß Gegenparolen. Wie eine hinreichend niveauvolle Antwort auf solche Zumutungen aussehen könnte, wäre ein herrliches Grundmotiv für einen echt femininen „Doctor Who“, eine herausragende Chance für eine SciFi-Serie, wenn sie, wie es echter Science Fiction zu eigen ist, neue Visionen entwickelt, statt nur ideologische Plattitüden zu reproduzieren.

Fraglich bleibt allerdings, ob man diese Chance noch nutzt. Zu routiniert wurden mit Season 11 bloß Sendeformate bedient, Quoten und Kritikern zuliebe gleichzeitig das gewachsene Franchise ignoriert, viele Fans verkrätzt, ein Problem, mit dem auch andere SciFi-Serien zu kämpfen haben (vgl. Star Trek). Verwirft man das aktuelle Konzept ganz, wird der nächste Doktor wohl erst einmal wieder männlich sein und das weibliche Reboot wäre gescheitert. Dies wäre insofern problematisch, als dass sich „Männerstories“ nach mehr als 55 Jahren wirklich langsam erschöpft haben. Und ich möchte nicht auch noch erleben müssen, dass man sich aus Doctor Who einen weiteren „Krieg der Sterne“ schnetzelt, wie man inzwischen schon Star Trek verunstaltet hat.

Dies wenigstens macht auch die Season 11 von „Doctor Who“ richtig: Pazifismus steht ganz oben auf der Agenda. Das gehört sich auch so! Denn, um es mit Capaldis Abschiedsworten als zwölfter Doktor zu sagen:

»Never be cruel, never be cowardly. And never ever eat pears! Remember – hate is always foolish…and love, is always wise!«

Über Martin Dühning 1438 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.