10 hilfreiche Tipps zur Vermeidung von Schülergedanken

Wir kennen das alle: Immer wieder – gerade auch im Unterricht – kommt es trotz sorgfältiger Vorbereitung dazu, dass Schüler selbstständig zu denken versuchen. Diese äußerst ärgerlichen und sporadischen Zwischenfälle lassen sich zwar nie ganz vermeiden, dennoch gibt es einige hilfreiche Tipps, mit denen Sie als Lehrkraft das wirksam eindämmen können:

Tipp 1: Hausaufgaben

Geben Sie regelmäßig viele kleine und möglichst dröge Hausaufgaben auf. Besonders geeignet sind solche, bei denen die Schüler ohne nachzudenken einfach bestimmte langweilige Tätigkeiten ausführen müssen. So lernen die Schüler das Abschreiben von Hausaufgaben und dadurch, das Denken besser anderen zu überlassen.

Tipp 2: Monotonie

Reden Sie viel. Wechseln Sie im Unterricht dabei möglichst selten das Thema, kauen Sie so lange auf einem Gedankengang herum, bis er völlig ausgelutscht ist. Ihre Schüler gewinnen dadurch das Gefühl, das Denken etwas völlig Dümmliches ist, was nur Langweiler tun.

Tipp 3: Fachidiotie

Scheuen Sie sich nicht, Ihre Schüler bei jeder möglichen Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass nur Ihr eigenes Unterrichtsfach das einzig wahre und denkbare ist. Wenn Ihre Kollegen mitspielen und in ihren Stunden das gleiche tun, gewinnen Ihre Schützlinge dadurch im Laufe eines einfachen Unterrichtstages die unausgesprochene Gewissheit, es nur mit Fachidioten zu tun zu haben und dass es für die eigene Psyche gefährlich sein muss, sich mit einem Fachgebiet tiefer zu beschäftigen.

Tipp 4: Exkurse

Der zweite und dritte Tipp lassen sich noch dadurch optimieren, dass Sie die Langeweile eines Fachthemas durch unnötige oder völlig unverständliche Exkurse weiter in die Länge ziehen. Erzählen Sie Ihren Schülern aus Ihrem Privatleben! Aus Ihrem Fachstudium! Von Ihren Urlaubserlebnissen! Oder lassen Sie sich ohne Vorwarnung über Weinkarten, Briefmarken oder Telefonbücher aus! Die daraus entstehende Verwirrung wird bei den Zuhörern jeden vernünftigen Gedankengang im Keim ersticken!

Tipp 5: 0815

Belohnen Sie besonders langatmige und fade Schülerreferate, stellen Sie besonders phantasielose Streberarbeiten als vorbildlich hin. Zählen Sie bei Hausaufgaben einfach nur die einzelnen Zeilen nach und bringen Sie Ihren Schülern normgerechtes Schreiben bei, indem Sie mit Geodreieck nachmessen: Jeder einzelne Buchstabe muss gerade sein! Der Inhalt ist zweitrangig. Gut ist eine Hausaufgabe nur, wenn Sie zu 100% standardkonform ist. Die Norm bestimmen dabei nur Sie! Bestrafen Sie Abweichungen –  also alles, was kreativ sein könnte, insbesondere Illustrationen oder eigene Gedankengänge in Schülerunterlagen. Stellen Sie kreative Schüler bloß, indem Sie etwaige individuelle Lösungsansätze vor der Klasse lächerlich machen!

Tipp 6: Gesprächstraining

Ein unschlagbarer Geheimtipp, den Unterricht zielsicher zu steuern und jegliche unerwünschte Eigeninitiativen zu kappen ist das fragend-inquisitorische Gespräch (FIG). Bei dieser beliebten Methode nehmen Sie einfach einen Schüler dran, der sich möglichst nur sehr zögerlich gemeldet hat und verwickeln ihn in ein längeres Zwiegespräch, in welchem Sie die Antworten in den Fragen schon vorgeben, möglichst aber so, dass der Schüler die Antwort nicht wissen, sondern nur erraten kann. Besonders geeignet dafür sind komplexe Schachtelsätze, die Sie beginnen, der Schüler dann vervollständigen muss. Unterbrechen und verbessern Sie ihn dabei ständig. Er wird schließlich völlig verunsichert sein und sich nie wieder von sich aus melden! Ihre Schüler lernen daraus: Sich Melden im Unterricht ist gefährlich und Wissen ist unmöglich. Es gilt das Mikado-Prinzip: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren!

Tipp 7: Perfektion

Machen Sie Ihren Schülern klar, dass Sie selbst ein Halbgott sind! Sie können doch alles soviel besser! Ihre Schüler müssen anerkennen: Lehrer sind in ihrem Fach unfehlbar! Akzeptieren Sie von Schülern nur solche Fragen, die Sie auch gleich beantworten können, falls Sie keine Antwort wissen, tun Sie die Frage einfach als unwesentlich ab oder machen Sie den Frager lächerlich. Falls Ihnen tatsächlich einmal ein Fehler unterläuft – geben Sie Ihren Schülern dafür die Schuld, z. B., dass Sie abgelenkt wurden, weil die Schüler so unartig sind. Stellen Sie Kollegen, die eigene Grenzen in ihrem Unterricht zugeben, als Looser dar. Die sind eine Gefahr für Ihre eigene Autorität und für die Allgemeinheit! Perfektion ist alles!

Tipp 8: Fehlbarkeit

Weisen Sie umgekehrt die Schüler bei jeder möglichen Gelegenheit auf deren Fehlerhaftigkeit hin. Bestehen Sie auf möglichst hypergenaue, langatmige Begrüßungsregeln. Achten Sie darauf, dass die Schüler im Unterricht jederzeit lotrecht sitzen und alle ihre Arbeitsmaterialien genau parallel und winkelgerecht auf der Arbeitsfläche ausrichten, gerade auch nachmittags. Die Schüler sollten sich bei möglichst allen Tätigkeiten im Unterricht nicht bewegen. Stellen Sie dazu zusätzlich eine Reihe beliebiger aber möglichst pingeliger Ausführungsbestimmungen auf, deren Einhaltung die volle Konzentration erfordert. Die Schüler werden damit so vollkommen beschäftigt sein, dass sie gar keine eigenen Gedanken mehr entwickeln können!

Tipp 9: Absolutismus

Ein besonderes Merkmal Ihrer eigenen Perfektion zeigt sich auch darin, dass Sie jederzeit beliebige neue Regeln aufstellen können, sich selbst aber an keine einzige davon halten müssen. Brechen Sie bewusst Regeln und gegebene Versprechen und ersticken Sie Diskussionen darüber im Keim. Machen Sie den Schülern damit klar: Der Lehrer hat vormittags recht und nachmittags frei, bzw. in Abwandlung für die Ganztagesschule: Der Lehrer hat IMMER recht! Dies wird nicht ohne Wirkung bleiben: Die Schüler werden Sie dafür fürchten und (ver)achten und nicht weiter über moralische oder gesellschaftliche Probleme nachdenken. Denn es bringt ja eh nichts!

Tipp 10: Zeitlosigkeit

Der beste Tipp zum Schluss: Nehmen Sie Ihren Schülern sämtliche Lebenszeit! Zwingen Sie die ganze Klasse in ein enges Zeitraster, das keine Pausen gönnt. Von allen möglichen Methoden, Denken zu verhindern, ist dies die wirksamste, denn echtes Denken bräuchte ja Zeit. Ihren Schülern muss am Ende ihrer Schulzeit klar sein, dass allein Tatenlosigkeit ein übler Frevel ist, purer Aktionismus aber alles im Leben!

Ruhepausen darf man sich keinesfalls gönnen – es wäre ein Zeichen von Schwäche! Daher sollten auch Sie selbst jederzeit abgehetzt und gestresst wirken und dabei immer irgendwie tätig sein: Verteilen Sie viele Arbeitsblätter, schreiben Sie in verschiedenen Farben viele kryptische Stichworte an die Tafel, präsentieren Sie in schneller Abfolge irgendwelche Multimediainhalte, legen Sie pausenlos neue Overheadfolien auf! Alles muss schnell und bunt sein! Auf den Inhalt kommt es dagegen nicht an, denn das Denken soll ja gerade vermieden werden!

(c) 2009 Martin Dühning / Erstveröffentlicht im KGT-Jahrbuch 2009, S. 16-17.
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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.