Gyptische Kriolinblümchen!

Alles war gut, bis ich auf die Idee kam, diese gyptischen Kriolinblümchen auf den Balkon zu pflanzen. Dabei hätte ich es mir doch denken können müssen: Gyptische Kriolinblümchen! Und dann noch auf dem Balkon! Das konnte ja nicht gut gehen. Und seither klappte auch nichts mehr.

Das erste, was nicht mehr funktioniert hat, war der Radioempfang. Erst glaubte ich noch, es läge an einem neuerlichen Ausbruch des Eyjafjallajökull, von diesem isländischen Vulkan mit dem schwer zu buchstabierenden, aber gänzlich unmöglich auszusprechenden Namen, der alles stört, insbesondere aber den Fluglärm. Warum also nicht auch die Radiowellen? Als aber auch die Mikrowelle nicht mehr tat und das Dampfbügeleisen und die Kaffeemaschine und schließlich auch meine drei Taschenrechner und die Wetterstation, da war klar: An dem kleinen Vulkan konnte dies nicht alles liegen – und Katla war ja damals noch nicht ausgebrochen.

Dann vermutete ich, es liegt vielleicht daran, dass Donnerstag war. Donnerstag ist immer schlecht, irgendwie konnte ich ihn noch nie so richtig leiden, seit ich kein Kind mehr bin. Donnerstage neigen dazu, länger zu dauern, als einem lieb ist. Unangenehme Besucher kündigen sich immer an einem Donnerstag an und außerdem sind auch die meisten Konferenzen an einem Donnerstag. Und als ob das schon nicht schlimm genug wäre, kommt nach Donnerstag in der Regel dann noch Freitag. Aber auch das nutzte nichts, denn auch nach dem Freitag blieben einige Dinge einfach so kaputt.

Auf die Blümchen kam ich erst später, als mich Fräulein L., eine alte Bekannte, beim allmontaglichen Nichtgeburtstagstee einmal darauf ansprach. Dabei war doch alles so klar: Eines passte zum anderen und jedes kleine Kind weiß doch eindeutig, dass gyptische Kriolinblumen überall auf der Welt teils heimtückisch unerkannt, teils aber auch geplant und völlig zurecht technische Defekte verursachen können. Gyptische Kriolinen – das ist in manchen Gegenden der Welt geradezu ein Synonym für technische Defekte. Gyptische Kriolinen – hol den Elektriker! Das wissen alle, besonders vermutlich die Gyptier.

Woher gyptische Kriolinen eigentlich genau kommen und wer sie als erster in der Literatur erwähnte, weiß ich nicht. Auch die allwissende Wikipedia schweigt sich darüber aus. Aber es wird halt wieder so ein Römer gewesen sein, der sie entdeckte, ein selbsternannter Naturhistoriker. Vielleicht Strabon, womöglich aber sogar Plinius. Und herkommen tun sie wahrscheinlich aus Gyptien, darauf deutet ja der Name schon hin. Aber allzu häufig werden sie hierzulande immer noch nicht gepflanzt. Immerhin sind gyptische Kriolinen aber auch sehr anspruchsvolle Pflanzen, die viele gesunde Schwermetalle brauchen, um so richtig aufzublühen. Besonders gerne wachsen sie bei Atomkraftwerken oder irgendwie in der Nähe von Sondermülldeponien.

Geradezu harmlos wuchern sie im Blumentopf, fast wie Gänseblümchen, nur bunter und etwas fülliger. Genau genommen sehen die Blüten aber auch ziemlich anders aus: Gewölbt und eckiger, ein wenig mehr in die Länge gezogen und bei Regen verfärben sie sich. Am schönsten sehen sie aus, wenn der Himmel blau ist, oder nachts, kurz bevor es schneit. Überhaupt, das mag am Klimawandel liegen, sind gyptische Kriolinblumen wie auch die meisten anderen Blütengewächse genau dann am schönsten, wenn es mit ihnen fast vorbei ist – das ist so wie mit dem Winter oder mit den Schulferien oder mit Weihnachten. Im Frühling dagegen dauert es erst mal recht lange, bis diese Blumen zum Vorschein kommen. Viele Pflänzchen schaffen es gar nicht soweit, obwohl die Schnecken sie aus unerfindlichen Gründen gar nicht so mögen.

Wie ich auf die Idee kam, gyptische Kriolinblumen auf den Balkon zu pflanzen, genau auf MEINEN Balkon, weiß ich heute gar nicht mehr so richtig. Aber sie blühen so schön, sagte man mir. Und mein Balkon blüht sonst so gar nicht. Und sie seien gut gegen Elektrosmog. Klar, sind sie ja auch, aber auch gut gegen jede andere Technik. Bis heute ist Gyptien, das mutmaßliche Heimatland der Kriolinblumen, daher so rückständig, dass man selbst bei Google darüber nicht wirklich fündig wird. Böse Leute meinen, es läge aber auch an den Ureinwohnern. Technikfeindlichkeit und so…

Aber nachdem ich erlebt habe, was ein kleiner Topf mit diesen Blümchen alles so anstellen kann, bin ich da anderer Ansicht. Wer weiß, wo diese Blumen sonst noch ihr Unwesen treiben und was alles so auf ihre Rechnung geht…
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Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.