Das leere Fotoalbum

Martin Dühning als Blumenkind 1976, in der "guten, alten Zeit" ...
Martin Dühning als Blumenkind 1976, in der "guten, alten Zeit" ...

Fotografien sind für mich etwas Alltägliches, eine Art Selbstausdruck. Allein mit meiner Digitalkamera habe ich etwas mehr als 86.000 in den letzten 15 Jahren gemacht. Dennoch sind meine Fotoalben leer.

Zunächst einmal halte ich analoge, materielle Fotoalben für sehr kostbar und schön, besonders, wenn sie wundervolle zwischenmenschliche Situationen vergegenwärtigen, aber auch den gemeinsam gelebten Alltag vergangener Augenblicke. Ich bin ein sehr aufmerksamer Fotoalbenbetrachter, wenngleich es meist nur die Fotoalben anderer Menschen sind. Meine eigenen sind meistenteils leer.

Das mag mit meiner traurigen Familiengeschichte zusammenhängen oder aber mit dem Umstand, dass ich mich selbst als Mensch, gelinde gesagt, nicht gerade gut verkaufe. Nicht einmal auf ein Familienfoto meiner Freundin habe ich es je geschafft und auch sonst glänzen Gruppenfotos aus meinem Umfeld meist mit Abwesenheit meinerseits. Nein, Sie brauchen gar nicht erst zu suchen, es gibt kaum Fotos anderer Menschen, auf denen ich abgebildet bin und das hängt nicht unbedingt damit zusammen, dass ich mich nicht gerne selbst präsentiere. Jedenfalls nicht direkt.

Stattdessen gibt es für die meinerseitige Absenz mehrere Gründe: Ein sehr gewichtiger ist das Phänomen, was ich das „Dreizehnte-Fee-Syndrom“ nenne: Der Umstand, dass mir alle Feste in der Regel verhagelt werden durch den Umstand, dass ich nicht zugegen bin, entweder, weil man mich gar nicht erst eingeladen hat, oder aber, weil ich, in Vermeidung von Konfliktsituationen, nicht hingehe oder mal wieder krank war. Die Liste der verhagelten Festlichkeiten ist lang, beginnend mit meinem eigenen elften Geburtstag, zieht sich endlos hin und hat den Nebeneffekt, dass ich natürlich auch auf keinem einzigen Foto jener Festlichkeiten abgebildet bin, es sei denn, es handelt sich um eine Beerdigung (was in der Regel die einzigen Feste in meinem Leben sind, die halbwegs „glücken“, sofern man das überhaupt von ihnen behaupten kann).

Der zweite Grund ist der Mangel an Kunstgeschick in meinem schwindenden Bekanntenkreis. Daher mache die wenigen Gruppenfotos, auf denen ich abgebildet sein könnte, meist ich selbst, was es natürlich erschwert, darauf abgebildet zu sein – wenngleich es auch nicht unmöglich ist. Immerhin möchte ich doch dann und wann schon mal einen Beweis haben, dass ich wirklich existiere und nicht alles nur ein böser Traum ist. Dafür gibt es Zeitauslöser. Das gibt den wenigen Gruppenfotos, auf denen ich abgebildet bin, aber stets etwas Gequältes, Gehetztes. Zudem wirken sie sehr gestellt und unnatürlich und das widerspricht meinem Sinn für Gefühl und Ästhetik.

Drittens bin ich normativen Zwängen gegenüber sehr kritisch eingestellt. Ich sehe es nicht ein, warum ich Inventar oder Statist spielen muss auf Fotos von Gruppen oder Gremien, denen es nicht wirklich um mich als Mensch, sondern nur um Repräsentation geht. Ich lasse mich nur sehr ungerne als Requisite in einem Schauspiel missbrauchen, das mit mir als Person eigentlich nichts zu tun hat.

Viertens gibt es in meinem Leben keine Happy Ends, und darum auch keine passenden Fotos, die ich bleibend gerne betrachten würde, ohne dieses schreckliche Gefühl von Fremdheit und Verlust zu empfinden, weshalb ich zwar drei schöne große Fotoalben besitze, welche aber leer sind. Die Hoffnung, dass sie sich irgendwann noch füllen werden mit netten Fotos lebendiger Wesen, habe ich längst aufgegeben. Meine Landschafts- und Pflanzenfotos veröffentliche ich lieber digital, auf dass sie betrachtet werden können und selbst die Zeiten fröhlicher Klassenausflüge sind auch vorbei – zumal darauf meist Menschen abgebildet sind, die mich ohnehin längst vergessen haben.

Was bleibt, ist immerhin die Gewissheit, ein Bewusstsein dafür zu besitzen – auch ein leeres Fotoalbum besitzt Bedeutung – statt sinnentleert Selfies und Fotos mit Fremden zu schießen, was ich fraglos könnte, wenn ich einen Sinn darin sehen würde; da bleibe ich lieber bei meinen Makrofotos und male mir Bilder aus in meiner Fantasie von einem besseren Leben, das Fotoalben füllen würde.

Über Martin Dühning 1438 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, arbeitet am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

2 Kommentare

  1. Lieber Herr Dühning, leere Fotoalben, ja solche habe ich auch einige und die Fotos aus alten Zeiten lagern in Schachteln, die ich gar nicht öffnen mag, weil damit auch ein Kapitel meines Lebens wieder schmerzlich in Erinnerung gerufen würde. So ist es mir jetzt in den schulfreien Tagen gegangen als ich beim Aufräumen war. Manche Fotos will ich einfach nicht mehr sehen, deshalb werden sie in den Schachteln bleiben. Und selbst die aus „glücklicheren Zeiten“ treiben mir manchmal Tränchen in die Augen. Nun, Gott sei Dank, gibt es auch wieder hellere Tage in unseren Leben, auch wenn es oft viel Zeit braucht. Manchmal bemerkt man Schönes gar nicht, weil einen die Trauer über das Verlorene so gefangen hält. Und heute im Rückblick kann ich zu den Lebensabschnitten, die nicht so verlaufen sind wie ich es erdacht hatte, sagen, dass es eben so kommen musste, damit neues daraus entstehen konnte.
    Wenn ich Ihre Texte und Gedichte lese, dann bekomme ich von Ihnen den Eindruck eines hochsensiblen Menschen, der an seinen Mitmenschen und deren Verhalten sehr gelitten hat und leidet, sich unverstanden und einsam fühlt.
    Ich kenne auch das Gefühl der Einsamkeit zu gut, aber dennoch weiß ich, ich bin nicht allein…denn es gibt über uns noch jemanden, der für uns da ist.
    Ich grüße Sie herzlich und wünsche Ihnen viel Energie für die letzten Tage des Schuljahres.
    (Auch ich werde mich morgen zur ersten Stunde wieder in das Getümmel des hiesigen Gymnasiums begeben)
    Und nochmals danke für die schönen Fotos, die ich immer wieder hier entdecken darf.
    Meine digitalen Fotos verschwinden in den Tiefen meines Computers…und waren nicht mehr gesehen.
    Dann doch wohl besser die Bilder und Erinnerungen im Kopf behalten.
    Herzlich Christina Goldstein

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