„Künstliche Intelligenz“ ist die modernste Form der Digitalisierungslüge – und die wunderhaften Versprechen der Softwareindustrie gleichen teils der Marktschreierei von Quacksalbern im Wilden Westen.
Die Quacksalber und Wunderheiler im Wilden Westen priesen ihre Produkte werbewirksam als Allheilmittel an. Das blieb nicht ohne Folgen und hat uns teils bekannte Konsumprodukte verschafft wie Cola, dereinst von John Stith Pemberton als Medizin gegen allerlei Gebrechen angepriesen, heute eher eine Quelle von Übergewicht und Diabetes. Auch Cornflakes verschaffen, anders als versprochen, nicht das ewige Leben, wenngleich sie so manchen in einen frühmorgendlichen Zuckerrausch verfallen lassen. Mit KI, also „Künstlicher Intelligenz“, verhält es sich ganz ähnlich: Allerlei wundervolle Halluzinationen erstaunen den Betrachter, aber eine echte Hilfe für das Leben sind sie nicht. Tatsächlich schaffen KI-Produkte nur neue Abhängigkeiten, statt Probleme zu lösen.
Sicher: Mit generativer KI lassen sich allerlei schöne Dinge gestalten: illustrative Grafiken und Musik, was auch ich durchaus zu schätzen weiß. Als Ersatz für Wissen oder authentische Kommunikation taugt KI allerdings nicht, dazu halluziniert sie zu offensichtlich. Dennoch werden Softwareanwender derzeit überall mit KI zwangsbeglückt, auch dort, wo es gar nichts bringt.
Dass der Hype um KI derzeit weit jenseits der Verhältnismäßigkeit und Vernunft angesiedelt ist, wird klar, wenn man bedenkt, was die aktuelle KI alles NICHT kann: KI basiert immer auf der Basis statistischer Daten, aus denen sie Muster generiert: Bilder, Töne, Texte. Man kann damit auch vorhandene Daten auf Konvention trimmen – ein Beispiel dafür sind Falten- und Gesichtfilter, die individuelle Charakterzüge auf zweifelhafte Stereotypen trimmen. Bislang hat es sich offensichtlich nur bei Künstlern herumgesprochen, dass KI-Werke derzeit die Medienbranche kannibalisieren, vor allem da, wo vorher schon nicht viel Hintersinn jenseits der Konventionalität vorhanden war. Dagegen kann KI keine moralischen Entscheidungen treffen, weil es sich bei diesen um eine Wertekorrelation handelt, die nicht auf Statistik basiert. Auch Kommunikation ist, wo sie authentisch ist, eine gegenwärtige zwischenmenschliche Korrelation und nicht nur deren Simulation. Wo nicht genügend Daten vorhanden sind, kommt die KI gar nicht erst zu brauchbaren Ergebnissen.
Daher versagt KI derzeit noch bei allen Mühen mit den Tücken des Alltags, jenen zeitraubenden Tätigkeiten am Rande der scheinbaren Normalität – aber auch dort, wo die Ergebnisse entscheidend sind – eigentlich also immer, wenn eine Sache wirklich relevant ist. Aber selbst bei den eigentlich verzichtbaren Konsumgütern sind künstliche Produkte gar nicht mehr so beliebt: Denn es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass „made by AI“ eben KEIN Qualitätsmerkmal ist. Daher kann man durchaus berechtigt zu dem Eindruck gelangen, dass KI bei den meisten Alltagserfordernissen immer noch recht nutzlos ist, während sie kreative Tätigkeiten, mit denen viele Leute ihr Leben verschönern, überflüssig zu machen scheint. Mit anderen Worten: Wo man es brauchen könnte, hilft einem KI nicht, dafür möchte sie einem Tätigkeiten abnehmen, die Spaß machen. Fotografen, Grafiker, Wortkünstler sind genervt, da sie um ihre Jobs fürchten, auch Privatleute spielen zwar gerne mit KI, möchten aber dafür nicht den gleichen Preis zahlen wie für echte menschliche Wertschöpfungen. Daher sehen die meisten Verbraucher jenseits von Technikjuppies KI zunehmend als überaus lästig an.
Das hält die Softwareindustrie allerdings nicht davon ab, die Softwareanwender mit KI-Funktionen zwangszubeglücken. Ganz ehrlich: Wirklich nützlich empfinde ich die KI-Assistenten in meinem beruflichen Office-Account nicht. Denn es erbost meine Kommunikationspartner, wenn sie den Eindruck haben, dass man sie in Mails oder Kommentaren mit automatisierten Textbausteinen abspeist. Dennoch nerven überall KI-Knöpfe. Dass ein ChatBot für die meisten Whatsapp-Benutzer überflüssig ist, ebenso wenig nützlich für Contentproducer in Instagram, ist den Softwarefirmen egal – zu groß ist der Druck der Branche und die Angst, eine angeblich unvermeidbare Entwicklung zu verschlafen.
Leider hat das in vielen Anwendungsbereichen sehr negative Auswirkungen, insbesondere im Bereich des Wissens. Der Nutzen der Google-Suche für echte Recherchen wird entwertet, wenn die KI, statt eine echte Suche zu tätigen, Informationen mit generierten Texten nur SIMULIERT – und zwar auf statistischer Datenbasis des Mainstreams. Es sollte klar sein, dass Qualität und Wahrheitsgehalt darunter leiden und dass das gerade für eine Wissensgesellschaft toxisch ist. Auch der Pressebereich verliert weiter an Glaubwürdigkeit, besonders da, wo generische Fiktionen in Bild, Wort und Ton authentische Berichterstattung ersetzen.
Das hat viel von dunkler Magie. Auch sonst bietet es sich eigentlich durchaus an, diverse KI-Tools mit den Ringen der Macht bei Tolkien zu vergleichen. Bekanntlich schuf in dessen fiktiven Werken der dunkle Herrscher Sauron 20 Ringe der Macht: drei für die Elben, sieben für die Zwerge, neun für die Menschen und einen Herrscherring, der alle unterwerfen sollte. Auch den Ringnutzern wurde versprochen, ihr Leben damit wundersam zu verbessern. Das gleich den Versprechen der KI-Firmen: Im besten Falle, also bei auch sonst grundbegabten Medienschaffenden, lassen sich mit KI wie mit den Elbenringen hübschere Werke gestalten, oder wie bei den Zwergenringen mehr Gold scheffeln. Aber die meisten Anwender drohen früher oder später zu seelenlosen Ringgeistern zu mutieren, weil permanente Assistenzsysteme das kritische Denken und echte Kreativität unterbinden. Und nicht zuletzt wurden alle diese schönen Helferchen von Herren erschaffen, denen es Sauron gleich letztlich nur darum geht, sich damit unentbehrlich zu machen und die darüber zu einem Einfluss gelangen, der moralisch wie wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Es droht durch diese Pseudo-Magie, zumindest aus Sichtweise der Aufklärung, ein neues dunkles Zeitalter.
Das sollte man äußerst kritisch sehen, ganz abgesehen davon, dass ähnlich wie auch sonst bei der Digitalisierung der Nutzen oft in keinem Verhältnis zu den Energiekosten steht. In Zeiten schwindender Ressourcen sollte man vielleicht endlich einmal anfangen, den Nutzen von Digitalisierung und KI kritisch zu hinterfragen, insbesondere, wenn es sich um Apps handeln, die in zunehmenden Maße Wachstum und Effizienzsteigerung nur vorgaukeln. Im Schlimmsten Falle könnte das dazu führen, dass die KI sich irgendwann selbst konsumiert und die „sozialen Medien“ noch mehr als zuvor zu seelenlosen Mediensimulationen degenerieren. Facebook ist schon jetzt eine Geisterstadt, sie auch noch nutzerseitig mit Botfunktionen zu versehen, macht sie nur noch spukhafter.
Vielleicht aber besinnen sich zumindest einige Nutzer und nehmen ihre Ringe der Macht ab, bevor es zu spät ist. Und wenn das nicht geht, so sei doch zu bedenken, dass jede Art von Magie ihren Tribut fordert, und irgendjemand muss den Preis zahlen.
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