Am 1. Januar 2011 findet zum 44. Mal der Welttag des Friedens statt. Frieden. Frieden ist eigentlich etwas sehr grundlegendes. Oft ist er aber nur ein Wort, das oft und allzu oft leichtfertig gebraucht wird. Was tut man nicht alles „um des lieben Friedens willen“ und übersieht dabei, dass der Mangel an Gewalt noch lange kein Frieden ist.
Nicht erst ein handfester Krieg offenbart das Fehlen von Frieden, auch schon manch Geplänkel lässt einen nicht in Frieden – und schon gar nicht ruhen. Wirklich friedlich erscheint uns der normale Alltag selten und doch wäre er keiner, wenn er wirklich unfriedlich wäre. Oder aber wir würden doch recht schnell sehr krank an den Zuständen. Das gilt im Großen, wenn es um Leib und Leben geht genauso wie im Kleinen, wenn Spannungen und Ärger im Job oder in der Schule Menschen zu Grunde richten.
Fehlt Frieden, dann verlieren auch die meisten anderen menschlichen Grundwerte ihre Gültigkeit. Die Wahrheit, sagt man, sei das erste Opfer des Krieges – und wo kein Frieden ist, wird man ihre Äußerungen ohnehin allerhöchstens missverstehen als Gefahr oder neue gegnerische Waffe, wenn im Gepolter der Gewalt überhaupt so etwas wie Wahrhaftigkeit noch wahrgenommen wird. Und deren zweiter Bestandheit, das, was Wahrheit zu Wahrhaftigkeit macht, nämlich das Vertrauen zwischen den Menschen, geht ohne Frieden auch gänzlich in Scherben, ja im Endeffekt ist der Mangel an Vertrauen ohnehin einer der Hauptgründe, warum Frieden fehlt oder verloren geht. Mit der Freiheit und der Menschenwürde wäre es ohnehin nicht sonderlich weit her ohne Frieden und so ist doch wieder verständlicher, warum mancher „um des lieben Friedens Willen“ sogar zu mancher Schandtat bereit wäre, ja aus „Sicherheitsgründen“ auf andere fundamentale Grundwerte verzichten möchte, sogar auf Gerechtigkeit. Selbst der durchaus gerechtigkeits- und freiheitsliebende Cicero meinte seinerzeit: „Den ungerechtesten Frieden finde ich immer noch besser als den gerechtesten Krieg“ – freilich meint auch derselbe Cicero an anderer Stelle: „Das Wort ‚Frieden‘ ist etwas Süßes, der Friede selbst eine heilsame Sache, aber zwischen Frieden und Knechtschaft ist ein gewaltiger Unterschied!“ – Das ist nur ein scheinbarer Gegensatz.
Zwischen gleichförmig-tristem Frieden im Sinne von Friedhof und echtem gelebtem, lebendigen Frieden gibt es nämlich einen großen Unterschied. Machen doch gerade jene Werte wie Freiheit, Sicherheit, Vertrauen, Wahrheit, Gerechtigkeit den wahren Frieden erst aus. Und solcher Friede muss auch beständig in entsprechenden zwischenmenschlichen Beziehungen, mithin mit dem bewussten Willen zu echter Toleranz – welche sehr viel mehr aktive Duldung, als bloße Gleichgültigkeit sein muss – vermehrt und erneuert werden, er definiert sich nicht aus dem Mangel an Gewalt oder dem Mangel an unterschiedlichen Meinungen und Lebensstilen. Denn die einöde Totenstille, die vor einem Kriegsturm eintritt, diese schwüle Gewitterstimmung davor, wenn jeder nur noch versucht zu seinem Recht zu kommen und seine eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, die ist nämlich auch schon kein echter Frieden mehr.
Da aber Friede in seiner grundsätzlichen Bedeutung meist „völlig verunterschätzt“ wird in Friedenszeiten, zu deren Ende man oft sogar mutwillig an „gerechte Kriege“ und anderen Unsinn glaubt (was sich seit der Antike leider weder grundsätzlich geändert, noch gar irgendwie gebessert hat bis zur Moderne) bleibt gerade angesichts brüchiger Zustände an vielen Orten der Welt doch die alles entscheidende Frage, wie, wenn er wieder einmal verloren ging, man zu wahrem Frieden zurückfindet. Zurück zu einem Frieden, der mehr als Aschenberge, Friedhofswüsten oder durch Stacheldrahtzäune isolierte Claims darstellt.
Die gläubige Antwort darauf – und eine andere fällt mir nicht ein – lautet: Ein solcher wahrer Friede kann weder erkauft, noch verhandelt, noch selbst geschaffen, er kann nur gestiftet oder geschenkt werden. Und das ist dann eine wahrhaft göttliche Gabe! Wenn man sich in diversen religiösen Erzählungen der Welt umsieht, oder auch in der Weltgeschichte, dann wird diese Gabe meist gerade nicht den Großen und Mächtigen geschenkt, die sich durch Einfluss, mancherlei diplomatische Künste und oft sogar wirklich aufrichtig darum bemühen, Kriege zu verhindern oder zu beenden, sondern er wird eher wie ein Trost den ganz kleinen Leuten zugesprochen, also denen, die ihn vielleicht wirklich auch am nötigsten brauchen.
Und noch eines zeichnet wahren Frieden aus: Er beginnt nicht mit offiziellen Staatsakten und überhaupt eher selten in pompösem Getue, sondern meist eher still, ganz klein und verborgen, oft nicht mehr als ein winziges Zeichen der Hoffnung. Unscheinbar und unansehnlich wie ein Dornenstrauch in der Wüste oder ein armseliges Neugeborenes in einer Futterkrippe oder ein flüchtig verklingendes, gemeinsames Weihnachtslied zwischen den Schützengräben. Solche Kleinigkeiten überhört und übersieht man so leicht im Gepolter der großen und weiten Globalwelt.
Hoffen wir mal, dass 2011, nach einigen Jahren, in welchen selbst offen eigennützige Konflikte wieder allzu hoffähig geworden sind, eine ganze Menge neuer Hoffnungszeichen entdeckt werden, aus denen sich langsam wieder echter Frieden für die Menschen entwickeln kann. Denn noch eines braucht Frieden mehr als alle seine Ermangelungszustände: Zeit, viel Zeit und große Geduld, um langsam in den Menschen, die ihn nicht mehr kennen, zu wachsen und heilsam zu erblühen.