CorelDraw X6 angetestet

Corel brachte seine Grafiksuite nunmehr in Version 16 heraus. Seit heute werkelt die neue Version X6 auch bei Nitramica Arts und eröffnet auch für die Niarts Anastratin ein paar neue typografische Möglichkeiten.  Zudem ist eine nette Beigabe dabei, die aus unerfindlichen Gründen aber gut versteckt wird.

CorelDraw ist weder für Nitramica Arts, noch für die Schülerzeitung Phoenix ein Fremdling, wurden doch in den 90ern unter Layouter Manfred Renner ganze Vogelschwärme von Phoenixen damit gelayoutet. Seither hat sich in Sachen Layouttechnik einiges getan und mit OpenType entwickelte sich in den letzten Jahren eine neue Technik. Unterstützen diese Schriftarten doch bedingte Ligaturen, die kontextsensitiv angewandt werden, wenn sich das Programm darauf versteht. Doch weder CorelDraw und leider auch nicht OpenOffice verstanden sich darauf. LibreOffice beherrscht es nur auf Umwegen, in MS Office 2010 ist es als versteckte Option vorhanden, ebenso in InDesign und Illustrator – allerdings in beiden Programmen nicht sonderlich intuitiv zu bedienen. Der Xara Designer Pro patzt bei erweiterten Schriftstilen ganz, weshalb sie leider kaum Verwendung fanden bei Niarts, Anastratin oder Phoenix. Doch CorelDraw X6 liefert nun ein paar sehr interessante neue Optionen dazu.

CorelDraws neue Typografiemöglichkeiten am Beispiel der Schriftart Zapfino.
CorelDraws neue Typografiemöglichkeiten am Beispiel der Schriftart Zapfino.

Erstaunlich allerdings, dass die Corel-Werbeabteilung zwar mit „Helvetica und anderen Profischriften“ wirbt – bloß: Helvetica ist nicht wirklich die Schrift, die von den neuen Typografie-Möglichkeiten profitieren würde. Warum man sie dann so offensiv bewirbt? Vielleicht war Corel die patzigen Bemerkungen zu „Plagiatschriften“ von Helvetica bei CorelDraws früheren Versionen in der Wikipedia leid.

Trotzdem, wer nutzt heute schon noch Helvetica? Sicher niemand, der mit erweiterten Schriftstilen arbeiten möchte. Darum zeigen die Werbebilder die neuen Möglichkeiten konsequenterweise auch an der Microsoft-Schrift „Gabriola“ – eine wirklich schöne Schrift, die ihre Stärken erst ausspielt, wenn man an ihre alternativen Stile herankommt.

Heimlich, still und leise wird dabei die eigentliche neue Star-Schriftart in CorelDraw X6 übergangen – die legendäre Zapfino in ihrer erweiterten Version LTX Pro. Hat Gabriola sieben schöne Stilformen, die Zapfino hat deren sogar zehn und außerdem auch sonst alles, was das Typografenherz erfreut. Warum sie klammheimlich im Contentordner unter dem Buchstaben „Z“ in den mitgelieferten Fonts versteckt wird ohne jeglichen Hinweis auf ihre Existenz in Handbuch oder Onlinehilfe ist mir äußerst schleierhaft.

Bis man sie nutzen kann, nachdem man sie von Hand aus dem Ordner nachinstalliert hat, muss man die CorelDraw Suite erst einmal installieren. Die Installation läuft insgesamt schneller als in den Vorgängerversionen, hat aber immer noch so ihre Tücken. So war es mit der Upgrade-Version nicht möglich, zusätzlich zur 64-Bit-Version noch die 32-Bit-Version der Programme zu installieren. Die Installation scheiterte dann an einem angeblich ungültigen Serienschlüssel. Erst wenn man die 64-Bit-Version komplett deinstallierte, ließ sich die 32-Bit-Variante auf die Platte bannen. Das ist schade, denn das Vektormodul Draw hätte ich gerne in der schnelleren 64-Bit-Variante genutzt, Corel Photopaint benötige ich allerdings in der 32-Bit-Variante, da ich sonst diverse liebgewonnene 32-Bit-Plugins nicht mehr nutzen könnte. Da macht es Adobe einem leichter: Bei der Installationsroutine der Creative-Suite, kann man gleich beide Varianten mitinstallieren lassen. Das sollte auch Corel so handhaben.

Bislang bin ich mit der neuen Version X6 sehr zufrieden. Schön ist auch, dass anders als bei Xara, wo ein wirklich dämliches neues schwarzes Layout einem die Freude am Programm verleidet, Corel sinnigerweise die GUI-Farben gewohnt unauffällig belassen hat. Auch sonst werden sich Kenner im Programm schnell zurechtfinden – die meisten klassischen Funktionen lassen sich wie gehabt bedienen. Draw macht bislang einen recht stabilen Eindruck, auch die Plugins funktionieren mit dem 32-Bit-Photopaint wie gehabt.

Die angepriesenen neuen Beschnittwerkzeuge konnte ich bislang allerdings noch nicht finden, trotz der Option, sich neue Funktionen farbig markiert anzeigen zu lassen. Selbst die Videos halfen mir nicht weiter. Corel Capture verweigert konsequent seinen Dienst mit der Behauptung, die ausgewählte Befehlstastenkombination sei schon vom Betriebssystem belegt – leider mit allen Tastenkombinationen, die ich ausprobierte. Seltsamerweise funktionieren die gleichen Tastenkombinationen mit der integrierten Bildschirmfotofunktion von IrfanView problemlos.

Trotzdem ist der Ersteindruck insgesamt recht viel versprechend. Die Praxis der nächsten Projekte wird zeigen, ob sich der Kauf gelohnt hat. Aber eigentlich hat er sich schon gelohnt, habe ich doch jetzt mit Zapfino eine Profischrift, die beim Hersteller selbst schon soviel kostet wie das ganze Upgrade.

Über Martin Dühning 1520 Artikel
Martin Dühning, geb. 1975, studierte Germanistik, kath. Theologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau sowie Informatik in Konstanz, arbeitet als Lehrkraft am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut und ist Gründer, Herausgeber und Chefredakteur von Anastratin.de.

2 Kommentare

  1. Ich fange mal umgekehrt an: Man müsste vielleicht überlegen, was „besser“ meint. Beide Programme sind sehr komplex und man kann mit beiden letztlich alles realisieren, je nachdem, was man will, ist dann Adobe Illustrator und Corel Draw vorzuziehen. Letzteres war beispielsweise bei Gravurtechnik immer schon eher das Programm der Wahl, schon weil es gleich die passenden Gravurschriften mitbringt. Photopaint ist dagegen nicht mehr wirklich Konkurrent zu Photoshop, seit es Corel zugunsten seiner separaten Anwendungen Corel PaintShop Pro oder Corel Painter eher dürftig aktualisiert. Ein direktes Pendant zu InDesign ist CorelDraw ohnehin nicht. Die Ligaturstile lassen sich per Doppelklick auf das Textobjekt in CorelDraw aber nun direkt nebeneinander anzeigen (siehe Grafik), was etwas intuitiver ist als bei Indesign, wo man es über ein Menü aufrufen muss, was aber nicht wirklich ein „Problem“ darstellt. (Problematischer ist es dann schon bei LibreOffice, wo man kryptische Befehle in die Schriftartenlistbox eingeben muss, um überhaupt irgendwie an Ligaturstile ranzukommen.)
    Was die Helvetica angeht, mag es subjektiv sein, doch es deckt sich mit ihrer Geschichte, dass sie hauptsächlich eine Schrift der Moderne, also des 20. Jahrhundert war, wo sie auch ihre größten Erfolge verbuchte. Ich assoziiere sie hauptsächlich mit den 80ern, die jetzt ja grade ein Revival erfahren. Was sicher für die Helvetica spricht, ist ihre sehr gute Lesbarkeit für Titel aber auch in kleinen Größen. In dieser Funktion wird sie sicher noch lange Präsent bleiben, besonders im Business-Bereich, wo ein Hauch von solider Moderne gefragt ist.
    Unnötig als „Superfeature“ von CorelDraw X6 finde ich die Helvetica, weil sie als „Swiss“ schon früher dabei war und mit der „Futura-Familie“ ohnehin die Leerstelle einer Sans-Serif gut gefüllt war. Die Zapfino ist dagegen ein wirklich neues Highlight in der Version X6.

    Beim „amtlichen“ Ranking wäre zu beachten, dass freie Fonts oder kostenlose Betriebssystemdreingaben dort nicht zum Zuge kamen, sondern von Fontexperten Font-Verkaufslisten und damalige Ästhetikideale berücksichtigt wurden. Das gibt nicht unbedingt die Präsenz von Schriften wieder. Sonst stünde wohl die allgegenwärtige Verdana, die inzwischen teilweise auch als Hausschrift von Unternehmen eingesetzt wird, möglicherweise auch ganz weit oben. Die BestOf-Liste stammt von 2008 – ist also vier Jahre alt bei einer Wertungszeit von 10 Jahren, das entspricht dem Stand der Jahre 1998-2008. Einige neuere Typen fanden also keine Berücksichtigung.

  2. Hallo 🙂

    Also Helvetica gehört heute noch zu den meist genutzten Schriften überhaupt. Sie wird sehr gerne in Mode, Kosmetik, Medizin und Medien verwendet. Sie war nun als „Neue Helvetica Extended“ lange Zeit Hausschrift von Pro7. Besonders die Light/Hairline- oder auch Extrabold/Black-Varianten werden ausgesprochen gerne für Headlines auf stimmigen Fotografien verwendet. In Drucksachen über Kunst findet man sie immer wieder. Ich distanziere mich auch gerne von dieser Schrift, doch ist sie nie in Vergessenheit geraten. Ligaturenprobleme kenne ich in InDesign nicht, wo gibt es da Schwierigkeiten?
    Was macht Corel denn so liebenswert, außer dass es nostalgische Gefühle erzeugt? Also es würde mich zum Beispiel sehr interessieren, ob etwas besser ist als bei der Adobe Suite. Günstiger ist es deutlich.
    Die Gabriola gefällt mir!

    Hier ein amtlicher Link:
    http://www.100besteschriften.de/

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